Folge 1: Das Museum und die Community
Shownotes
In dieser Folge geht es um Museen, die besondere Formen der Partizipation und Co-Kreation ausprobiert haben. Host Boussa Thiam und Reporterin Sara Zarreh Hoshyari Kha besuchen das Bergbau-Museum Bochum und das LWL Museum für Archäologie in Herne, die mit ihrem Bürger:innen-Beirat digitale Anwendungen und Spiele entwickelt haben. Wir erfahren, wie so ein 30-köpfiger Beirat funktioniert und wie kreativ Museen sich für jüngere Zielgruppen und neue Communities öffnen. Im zweiten Teil geht es um Kuratieren im Schwarm, also wie kunstinteressierte Menschen mit Museen zusammenarbeiten und an Ausstellungen mitwirken können. Wir hören von Ausstellungen, die über die Plattform nextmuseum.io für Schwarmkuration ins Leben gerufen wurden und dass sogar eine Weiterführung in der Blockchain geplant ist.
Zu hören sind u.a. Anika Ellwart (Projektleiterin Museum als Co-Labor), Doreen Mölders (Museumsleiterin LWL Museum für Archäologie Herne), Marina Nething (Projektleiterin nextmuseum.io) und Nora Sternfeld (Kuratorin und Professorin für Kunstpädagogik).
Mehr zum Podcast: www.kulturstiftung-des-bundes.de/podcast-gamechanger
Museum als Co-Labor: https://www.blackbox.game (LWL-Museum für Archäologie – Westfälisches Landesmuseum Herne, Deutsches Bergbau-Museum Bochum & LWL-Römermuseum Haltern am See)
nextmuseum.io: https://nextmuseum.io (NRW-Forum Düsseldorf & Museum Ulm)
Fonds Digital: www.kulturstiftung-bund.de/kulturdigital
Wenn ihr Fragen und Gedanken zur Folge oder generell zum Thema habt, dann schreibt uns gern: podcast@kulturstiftung-bund.de
Partizipation, Communities, Schwarmkuration, Co-Kreation, Serious Games, Augmented Reality (AR), Digitalität als Kulturpraxis
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Podcast: Gamechanger – wie digitaler Wandel die Kultur verändert
Folge 1: Das Museum und die Community – Ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes, gemeinsam entwickelt mit Pola.Berlin.
Host: Boussa Thiam (BT)
Reporterin dieser Folge: Sara Zarreh Hoshyari Kha (SZHK)
Sara Zarreh Hoshyari Kha (SZHK): Oh nein, sie haben uns gefunden. Wir müssen hier weg. Schnell!
Boussa Thiam (BT): Okay, kommt, Leute.
SZHK: Beeil dich, du weißt, was wir zu tun haben. OK. Hinweise suchen. Als Werkzeug eine Keilhaue.
BT: Hey, eine Keilhaue. Was ist das?
SZHK: Das kannst du dir vorstellen wie so ein typisches Bergbauwerkzeug. Das ist ein Holzgriff, ein langer Stiel und vorne so eine Spitze dran.
BT: Also so, wie ein spitzer Hammer?
SZHK: Ja, vorne noch einen Ticken länger, aber ungefähr so. Und die habe ich gebraucht, um damit Azurit abzubauen.
BT: Azurit?
SZHK: Erzähle ich dir gleich.
Sprecherstimme: Gamechanger. Wie digitaler Wandel die Kultur verändert. Ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes. Folge 1. Das Museum und die Community.
BT: Und damit willkommen zur ersten Folge “Gamechanger - Wie digitaler Wandel die Kultur verändert”. Mein Name ist Boussa Thiam und ich hoste den Podcast.
SZHK: Und ich heiße Sara Zarreh Hoshyari Kha und bin Reporterin.
BT: “Gamechanger – Wie digitaler Wandel die Kultur verändert”, ist ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes. Mit ihrem Fonds Digital hat sie vier Jahre lang öffentliche Kultureinrichtungen dabei unterstützt, wegweisende digitale Projekte umzusetzen, sich zu öffnen und neue Wege der Zusammenarbeit zu gehen. Und in unserem Podcast besuchen wir einige der MacherInnen und hören vor allem, was sie zum digitalen Wandel in Museen, Theatern und Gedenkstätten zu erzählen haben. Das heißt, wir sprechen mit MitarbeiterInnen und Leitungen, KünstlerInnen, SchwarmkuratorInnen, BürgerRäten und vor allem der künstlichen Intelligenz.
SZHK: In dieser ersten Folge von Gamechanger geht es darum, wie Partizipation in Museen neu gedacht wird und wie demokratisch ein Museumsbetrieb agieren kann. Es geht um Bedürfnisse des Publikums und darum, wie Kultureinrichtungen mit digitalen Formaten und kreativen Methoden neue Zielgruppen und diverse Communities erreichen und mit ihnen zusammenarbeiten.
BT: Und damit geht es genau um das, was der Schweizer Kultur- und Medienwissenschaftler Felix Stalder in seinem Werk “Kultur der Digitalität” als Kultur der Commons beschrieben hat. Also die Kultur des Gemeinwohls. Gleichberechtigte PartnerInnen verhandeln und produzieren gemeinsam kulturelle Inhalte und soziale Bedeutung und stellen so ihre Ergebnisse allen zur Verfügung. Jetzt aber ab ins Ruhrgebiet, Sarah. Du hast dir das Fonds-Digitalprojekt Museum als Co-Labor Blackbox-Archäologie angeguckt.
SZHK: Das habe ich mir angeguckt. Das ist ein sogenanntes Verbundprojekt des LWL-Museums für Archäologie in Herne, des LWL-Römern-Museums in Haltern und des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum. Ihr Ziel war es, archäologisches Wissen, Objekte und Geschichten auf digitalem Weg zu vermitteln. Und zwar so, dass die Zielgruppe schon von Anfang an mitgedacht und eingebunden wird.
BT: Und im zweiten Teil der Folge geht es dann um nextmuseum.io, ein Fonds-Digitalprojekt des Museums Ulm und des NRW Forum in Düsseldorf. nextmuseum.io ist eine digitale Plattform für Schwarmkuration, also ein Ort, wo sich KünstlerInnen und KuratorInnen, aber auch Kunstinteressierte von außen treffen, um beispielsweise gemeinsam Ausstellungen zu kuratieren und die Museen mitzugestalten.
SZHK: Aber jetzt erst mal zurück zum Azurit.
BT: Genau. Was ist es jetzt?
SZHK: Azurit ist ein Mineral. Es ist zwar nicht so teuer wie manche andere Edelsteine oder Mineralien, aber es ist schon sehr lange sehr beliebt, schon im alten Ägypten und auch durchs Mittelalter hinweg, weil man daraus so schöne leuchtend blaue Farbe machen kann. Und als ich letztens im Bergbaumuseum in Bochum war, habe ich da Azurit abgebaut.
BT: Ah, ich kann auch reingehen. Könntest du dir vorstellen, so ein bisschen zu erzählen, was wir sehen können?
Luca Timm (LT): Also wir gehen jetzt in den Stollenquerschnitt rein.
BT: Und das ist?
SZHK: Das ist Luca Tim, der ist Mitarbeiter am Bergbaumuseum.
SZHK: Da kann man reinklettern zum Glück. Und jetzt müssen wir hier irgendwo Azurit…Ah hier, hier ist schon ganz viel Azurit, das wir abbauen können. So. Da müssen wir jetzt ganz viel abbauen, damit wir genug Pigmente am Ende haben.
BT: Okay, aber da gibt es jetzt kein echtes Azurit mit einer Keilhaue abzubauen.
SZHK: Nee. Man geht in den Stollenquerschnitt zwar wirklich rein, aber echtes Azurit gibt es da nicht. Aber wenn man mit der iPad-Kamera draufhält, dann sieht man in Augmented Reality Azurit und kann es mit der digitalen Keilhaue abhacken. Augmented Reality heißt ja so viel wie erweiterte Realität.
SZHK: Sieh dich um. Kannst du Kupfer zum Abbauen finden? Okay, kann ich. Tipp, um Gestein abzubauen.
BT: Ich finde es ja tatsächlich sehr spannend, sich mit einem iPad durch ein Museum oder auch eine Galerie zu bewegen und zu sehen, wie sich die Objekte durch die Kamera dann auf dem Screen verändern. Das macht schon Spass.
SZHK: Ja, finde ich auch. Und das Museum hat dafür eine eigene App entwickelt, die heißt Farbcore. Damit spielt man sich durch die Dauerausstellung im Bergbaumuseum. Ich bin bei der Goldmine, also von hier aus. Rechts rum, dann links, dann wieder rechts. Und man muss Hinweise finden. Okay, Hinweise sind ein Computer, ein Regenschirm, ein Rucksack mit Campingausrüstung. Das Ganze ist dann auch in eine Geschichte eingebettet, in der eine künstliche Intelligenz die Ressourcen auf der Welt kontrolliert. Und diese künstliche Intelligenz hat aber eine Fehlfunktion, weshalb alle Farben aus der Welt verschwunden sind. Und alles ist grau und traurig und niemand hat mehr Freude und alle Leute haben die Energie verloren.
BT: Das klingt ja schrecklich. Und was macht man dagegen?
SZHK: In der Story hilft man dann der Hauptfigur Jo dabei, die Farben zurückzubringen. Und währenddessen kommt aber immer wieder diese böse KI rein und versucht, einem das Leben schwer zu machen. Okay, was passiert hier? Wurden wir wiederentdeckt? Nein!
BT: Das klingt aber nach Spass.
SZHK: Ja, das war es auch. Aber ich muss dazusagen, diese App Farbcore ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs, also das Endprodukt von einem sehr langen Prozess, der für das Museum total neu war. Dementsprechend gibt es bei dem Projekt Blackbox-Archäologie noch viel mehr Output. Es gibt noch ein Game, das man unabhängig von den Ausstellungen spielen kann und noch zwei weitere digitale Anwendungen von den anderen jeweils beteiligten Museen.
BT: Also man könnte daraus sicherlich mehrere Folgen schon machen.
SZHK: Auf jeden Fall. Das ist ehrlich gesagt auch mein Gesamteindruck von den Projekten, die ich bisher so erlebt habe. Es gibt einfach so viel Content. Es gibt so viele Beteiligte auf allen Ebenen mit so vielen unterschiedlichen Erfahrungen, dass es gar nicht so leicht war, sich für einen Ausschnitt zu entscheiden, um ihn dir jetzt zu erzählen.
BT: Aber du hast es geschafft. Also lass uns noch mal zu Farbchor gehen. Das klingt ja sehr interessant. Welches Ziel wollte das Museum damit erreichen?
Doreen Mölders (DM): Also unsere Motivation war…
SZHK: Das ist Doreen Mölders. Sie leitet das Archäologie-Museum in Herne.
DM: …dass wir beginnen wollten, stärker auch im Rahmen von Digitalisierungsprojekten uns auf die große gesellschaftliche Transformation einzustellen, die wir ja alle vor der Brust haben.
SZHK: Und diese große gesellschaftliche Transformation durch die Digitalisierung hat natürlich total viele Facetten, die können wir ja gar nicht alle erklären. Aber in Bezug auf Museen stellt sich hier die Frage, wer geht denn heute überhaupt ins Museum und warum? Weil lange Zeit hätte man sich, sagt Doreen Mölders, darüber viel zu wenig Gedanken gemacht.
DM: Museum muss gelernt werden, also der Besuch von Museen muss gelernt werden. Und wenn wir es nicht schaffen, Angebote zu kreieren oder auf den Weg zu bringen, die auch für ein Publikum interessant sind, die jetzt nicht, weil es eben dazu gehört, dass man in ein Museum geht, ins Museum gehen, sondern weil sie es möchten, dann verlieren wir das Publikum.
BT: Im Kern sind wir also bei der Frage, was ist die Rolle von Museen in unserer demokratischen Gesellschaft?
Nora Sternfeld (NST): Ich glaube, eine ganz wichtige Rolle.
SZHK: Das ist Nora Sternfeld. Sie ist Professorin für Kunstpädagogik an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und sie ist Kuratorin und denkt in ihrer Arbeit sehr viel über Museen nach.
NST: Die Idee von Museen ist ja eigentlich schon, dass sie Orte sind, in denen wir darüber verhandeln können, was geschehen ist, um besser zu verstehen, wie wir das in der Gegenwart verstehen wollen und was sie mit uns macht. Und wir können es natürlich nicht unabhängig von dem verhandeln, was es an historischen Trattierungen, Materialien, Resten gibt. Und das heißt, eigentlich ist das Museum ein Ort, wo wir diesen Resten begegnen können, um zu versuchen zu verstehen, wie die immer noch heute in uns wirken. Wenn aber diese Wirkung auf eine bestimmte Weise vorgelegt wird, dann können wir einerseits sagen, da wird Macht immer weiter reproduziert, aber wir können andererseits auch sagen, dass die Leute darauf keine Lust haben, sich diese machtvollen Erzählungen als das, worüber sie heute reden wollen, erzählen zu lassen.
SZHK: Und genau das fragt sich Doreen Mölders auch. Womit und wie erreichen wir Menschen und bringen sie dazu ins Museum zu gehen, weil sie es möchten, weil sie für sich eine Relevanz darin sehen, da hinzugehen und die Objekte anzugucken und sich mit den Narrativen zu beschäftigen.
BT: Und auf diese Fragen hat dann das Projekt “Blackbox Archäologie” versucht, eine digitale Lösung zu finden.
SZHK: Ja, und zwar indem sie den Prozess verändert haben und die Zielgruppen gefragt haben. Was interessiert euch denn? Also am Anfang war schon klar, sie wollten archäologische Arbeitsweisen vermitteln, aber welche genau und wie, das stand noch nicht fest. Das war offen zur Diskussion und da sollte die Zielgruppe mitbestimmen.
Also bislang war es oft so, dass Kulturinstitutionen und KuratorInnen Inhalte zusammen mit anderen ExpertInnen entwickeln.
Anika Ellwart (AE): Also quasi setzen sich die Fachleute hin, entwickeln ein Angebot, ich sag mal, im stillen Kämmerlein und dann erscheint es irgendwann im Ausstellungsbetrieb.
SZHK: Das ist Anika Ellwart, die Projektleiterin von Blackbox-Archäologie.
AE: Man eröffnet die Sonderausstellung, das Publikum kommt, aber es war nicht an dem eigentlichen Entwicklungsprozess und des Aufbaus des Angebots beteiligt.
BT: Ja, also ohne diesen üblichen Vorgang diskreditieren zu wollen, aber es hat natürlich etwas Unzugängliches. Und dann gibt es manchmal noch einen 100 Seiten langen Katalog und den kann man dann im Onlineshop kaufen.
SZHK: Und in diesem Prozess wurde halt, wie du schon sagst, viel zu wenig gefragt, wie kommt das denn beim Publikum an? Oder überhaupt gefragt, kommt es beim Publikum an? Und deshalb haben sich diese drei Museen im Ruhrgebiet vor vier Jahren zusammengeschlossen und gesagt, lass uns das doch mal ein bisschen anders machen.
AE: Das war von vornherein ein Ansatz, dass wir halt definitiv die Nutzerzentrierung bei der Entwicklung unserer Angebote sicherstellen, dass wir sehr, sehr publikumsorientiert arbeiten und dann nicht nur das Publikum in die Nutzertests einbinden, sondern direkt in den gesamten Prozess auch in die ganze Konzeption der Anwendung mit einbinden.
SZHK: Also, das heißt Partizipation, anders denken, mehr Mitarbeit, mehr Gemeinschaft, mehr Öffnung im Gestalten. Laut Nora Sternfeld ist das total wichtig für die Gesellschaft.
NST: Deshalb möchte ich uns darauf aufmerksam machen, dass Partizipation im demokratischen Sinn eigentlich dann gegeben ist, wenn die Spielregeln selbst im Spiel sind, wenn die Spielregeln selbst umkämpft sind, wenn wir um die Spielregeln spielen.
BT: Okay, das waren jetzt aber wirklich sehr viele Spielregeln. Kannst du das ein bisschen genauer erklären? Hast du da ein Beispiel?
SZHK: Ich würde mir mal eines von Nora Sternfeld ausleihen. Die hat mir das Beispiel gegeben, wenn ein Museum BesucherInnen dazu auffordert, das wichtigste Bild in der Sammlung zu finden. Und dann gibt es vielleicht noch so einen kleinen Ausschnitt von dem Bild und man muss durch die Ausstellung gehen und dieses Bild finden. Dann geht es für die BesucherInnen nicht darum, was für sie das wichtigste Bild in der Ausstellung ist. Also sie dürfen nicht selber mitbestimmen, sondern sie müssen mitspielen, was ist für das Museum das wichtigste Bild. Ich darf dieses Bild suchen und finden, aber nicht selber mitbestimmen.
BT: Okay, das ist natürlich einleuchtend, denn so werden ja nur bestehende Narrative reproduziert.
NST: Demgegenüber sind jene Ansätze aus meiner Sicht demokratischer, die sehr ernsthaft die Ergebnisse, die aus gemeinsamen Prozessen entstehen, auch in die strukturellen Entscheidungen des Museums miteinbeziehen.
SZHK: Und bei genau diesen Prozessen hat Blackbox-Archäologie auch angesetzt.
AE: Also wir tauchen quasi nicht ab und erscheinen dann irgendwann fürs Publikum, sondern nehmen schon die Publikumsresonanz im Prozess mit und passen auch immer wieder die Angebote an.
BT: Sehr gut. Und wie haben Sie das gemacht?
SZHK: Am Anfang haben Sie über einen öffentlichen Aufruf Teilnehmende gesucht. Unter anderem aber nicht nur, zum Beispiel in der Halterner Zeitung.
BT: Und wer durfte sich da alles bewerben? Ich hoffe nicht nur ArchäologInnen.
SZHK: Nee, nee, es waren wirklich alle eingeladen. Alle, die Interesse daran haben. Hier kannst du zum Beispiel mal den Aufruf in der Halterner Zeitung lesen.
BT: Okay, 1. März 2021, Haltern Römer Museum sucht Kreative zur Entwicklung einer Gaming-Plattform. Die Aktion richtet sich an junge Erwachsene, Auszubildende und Studierende, die sich für Brett- und Computerspiele, Digitales, Archäologie, Geschichte oder Design interessieren. Cool. Also archäologisches Fachwissen war keine Voraussetzung.
SZHK: Nee, der Aufruf sollte möglichst niedrigschwellig und breit sein.
Chiara Opedisano (CO): Also die haben dann jetzt keinen Lebenslauf oder Anschreiben oder so von uns verlangt, sondern einfach, es gab diese Webseite und da gab es ein paar Fragen.
SZHK: Das ist Chiara.
CO: Mein Name ist Chiara Opedisano, ich bin 25 Jahre alt und studiere in Bochum Medien- und Sozialwissenschaft und arbeite auch in Bochum in der Digitalisierungsforschung.
SZHK: Chiara hat die Anzeige auch gelesen und sich dann für das Projekt beworben.
CO: Zum Beispiel: Ein Film, der in unserem Geburtsjahr war, sollten wir uns irgendwie einen aussuchen und zum anderen auch eine digitale Collage erstellen innerhalb von, keine Ahnung, 15 Minuten oder so. Also da ging es halt auch so ein bisschen schon dieses, wie gut kannst du kreativ in kurzer Zeit Design thinken.
BT: Und wie viele Personen haben sich insgesamt beworben?
SZHK: Insgesamt über 80 Leute. Da war das Museum selber total überrascht von. Und weil es so viele waren, konnten auch gar nicht alle gleich mitmachen. Deswegen gab es zwei Gruppen. 15 Personen wurden ausgewählt, um sogenannte BaumeisterInnen zu sein.
SZHK: Die haben besonders intensiv an den digitalen Anwendungen mitgearbeitet und an Workshops teilgenommen. Und die anderen wurden Teil des BürgerInnenbeirats, der auch immer mal wieder zu Feedbackrunden eingeladen wurde.
BT: Okay, und was bedeutet das also konkret, wenn man BaumeisterIn ist?
SZHK: Also ein ganz wichtiges Element waren die Co-Creation Workshops. Davon gab es insgesamt vier Stück für jede Anwendung einen. In denen sind die BaumeisterInnen mit Mitarbeitenden der Museen und der Digitalagentur Neue Spaces zusammengekommen. Und dann wurden in verschiedenen kreativen und agilen Methoden, wie zum Beispiel Design Thinking, Ideen entwickelt.
BT: Und kam denn die Idee, also im Museum Azurit per Augmented Reality App abzubauen, auch aus einem dieser Workshops?
SZHK: Ja, aber ihren Ursprung hatte sie eigentlich woanders.
LT: So, jetzt kommen wir in einen Bereich rein, wo es Spassig wird.
SZHK: Und zwar in einem Stollen. Die BaumeisterInnen, die Digitalagentur und einige Mitarbeitende vom Museum haben eine Exkursion in den Stollen Bruss im Saarland gemacht. Und da war Chiara auch mit dabei.
LT: Nichts anderes mehr, als im Bauch durchkriechen.
CO: Wir haben uns so komplett angezogen mit Helm und alles und dann einmal durch den Matsch und haben uns angeschaut, wie ArchäologInnen auch wirklich arbeiten und wie man halt auch Spuren lesen kann.
SZHK: In dem Stollen haben die BaumeisterInnen ganz viel gelernt. Zu Ausgrabungstechniken, zu Werkzeugen und zum Beispiel auch, woran man erkennt, wer wann in diesem Stollen gearbeitet hat.
CO: Was total verrückt ist, das so zu rekonstruieren. Und auch zu merken, boah, Archäologie ist ja wirklich einfach auch eine körperliche Arbeit. Also wenn man den ganzen Tag an so einer Ausgrabungsstätte ist oder in dem Fall halt in so einem Stollen, ist. Das echt nicht ohne.
BT: Voll schön. Also einfach mal ausprobieren, wie das so sein kann als Archäologe, als Archäologin, als ersten Schritt. Und wie ging es dann weiter?
SZHK: Dann ging es in die Co-Creation Workshops, gemeinsames Ideen sammeln und daraus ein Konzept entwickeln. Und das beinhaltete eben auch, dass man in Augmented Reality Abbautechniken ausprobieren kann, wie sie damals genutzt wurden.
BT: Ah, und da ist jetzt wieder mein schönes leuchtendes Azurit.
AE: Aber natürlich war das erstmal eine rudimentäre Idee.
SZHK: Das ist nochmal Anika Ellwart, die Projektleiterin von Blackbox-Archäologie.
AE: Danach ist dann die Digitalagentur hingegangen mit diesem super Input von allen Seiten und hat sich einen ersten Prototypen erdacht und entwickelt. Und zwar haben sie erstmal ein erstes Level entwickelt.
SZHK: Mit dem Hintergrundwissen und den konkreten Inhalten fürs Spiel, die von den Museumsmitarbeitenden kamen. Und dann ging es in die erste Testingrunde, an der wieder alle Beiratsmitglieder teilgenommen haben.
AE: Also man entwickelt quasi nicht ins Blaue hinein und hofft dann, dass die Anwendungen später gut ankommen, sondern man hat schon direkt konkrete Anhaltspunkte, ob das vielleicht in Richtung Marktreife und Publikumsinteresse geht.
BT: Ja, Produktentwicklung eben. Aber wurden die Teilnehmenden auch für ihre Arbeit bezahlt?
SZHK: Nicht mit Geld, aber die Reisekosten wurden übernommen und sie durften während des Projektzeitraums kostenlos in die drei Museen gehen.
BT: Aha, okay. Idee, Umsetzung, klingt ja alles super, aber tatsächlich nach unfassbar viel Arbeit.
SZHK: War es, glaube ich, auch. Das hat auch Doreen Möll das nochmal gesagt.
DM: In dem Fall hatten wir aber durch mangelnde Erfahrung noch nicht die Routine darin, was es bedeutet, digitale Formate zu entwickeln. Das heißt, dass wir bestimmte Prozesse nicht im Kopf haben, sondern die muss man erstmal herausarbeiten und aufschreiben und dann wird es irgendwann so kleinteilig, dass man vor einem Berg an Aufgaben steht und gar nicht weiß, wie man diesen Berg abarbeiten soll, weil man ja zusätzlich zu dem Projekt ja auch noch andere Aufgaben hat.
SZHK: Das heißt also, auch intern braucht das Museum andere Strukturen, weil zum Beispiel plötzlich Leute zusammenkommen, die normalerweise gar nicht so richtig was miteinander zu tun haben im Arbeitsalltag. Da ist das Museum einfach sehr klar gegliedert.
DM: Wir haben einen Bereich für die inhaltliche Ausarbeitung einer Sonderausstellung, beispielsweise für das Marketing, dann am Ende das Kassenteam und die Aufsicht etc. Normalerweise sind diese Arbeitsbereiche, das sind dann die sogenannten Silos, arbeiten ihren Bereich ab und dann geht es mit dem Thema immer, wird es so durchdekliniert und dann geht es von einem Bereich zum nächsten Bereich.
BT: Okay, das klingt nach Hierarchien und sehr, sehr klaren Vorgaben, wer was zu tun hat.
SZHK: Total. Aber bei diesem Projekt war der Unterschied, dass die Bereiche schon viel früher zusammengekommen sind und so konnten verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse bedacht werden. Man spricht da auch vom kooperativen und iterativen Arbeiten. Das sind beides Methoden des agilen Arbeitens, das die Fonds-Digitalprojekte erprobt haben.
BT: Genau, also vielleicht nochmal zur Einordnung. Agiles Arbeiten bedeutet einfach, sich den Arbeitsbedingungen immer wieder neu anzupassen. Also immer wieder flexibel, kreativ und produktiv auf mögliche Veränderungen zu reagieren.
SZHK: Und ganz wichtig ist auch noch, man arbeitet mit verschiedenen Tools und Techniken, um Mitarbeitende beim Entwicklungs- und Umsetzungsprozess zu unterstützen und ihre Leistungen auch wertzuschätzen.
BT: Das klingt jetzt natürlich alles ganz wunderbar und super modern, aber wie lief es denn jetzt konkret in der Praxis für die MuseumsmitarbeiterInnen ab? Wie fanden die das Ganze?
SZHK: Es gab Herausforderungen. Zum Beispiel bei der Sprache.
DM: Das geht bei Agile Management los und über Scrum bis hin zu iterativen Arbeitsprozessen. Also das muss man auch erst mal erklären, was das bedeutet. Und dann wird das durchexerziert, dann wird es einem klarer.
BT: Kann ich aber nachvollziehen, dass das erstmal maximal verwirrend sein kann.
SZHK: Ja, hier merkt man, das finde ich total gut, hier clashen moderne, agile Vorstellungen von Zusammenarbeit mit den Strukturen von öffentlichen Kulturinstitutionen. Und das ist einfach nichts, was sich innerhalb von vier Jahren verändert. Das ist viel größer. Da muss die Politik ran.
BT: Aber da waren dann die Projekte sicherlich schon auch hilfreich, um einfach mal darauf aufmerksam zu machen. Welche kurzfristigen Learnings haben die Museen jetzt aus ihrer Arbeit gezogen?
SZHK: Also ein großes Learning war die Erkenntnis, dass alle früher zusammenkommen sollten.
DM: Wir haben immer ein Kick-Off-Workshop, bei dem alle am Tisch sitzen und dann entwickeln wir gemeinsam Ideen, erste Ideen, die Machbarkeit der Ideen. Das obliegt dann wiederum den Expertinnen, also zu prüfen, ob wir das umsetzen können und dann kommen aber immer wieder in regelmäßigen Abständen alle zusammen und schauen sich die Ergebnisse an und dann wird nachjustiert, geht es noch in die richtige Richtung oder nicht.
BT: Und was ist eigentlich mit dem BürgerInnenbeirat?
SZHK: Den soll es zwar weiterhin geben, aber nur projektbezogen und nicht als feste Institution. Also es ist jetzt nicht der Museumsbeirat. Dafür fehlen aktuell die Ressourcen, finanziell und personell. Was schade ist, weil Doreen Mölders sagt, die besten Ideen kommen oft gar nicht aus dem Museum.
DM: Sondern die besten Ideen kommen oftmals von außen. Zwar haben wir dann das Hintergrundwissen und füttern die Ideen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das ist dann unsere Aufgabe. Aber die erste Idee, das sollte möglichst breit sein.
BT: Das ist doch mal eine schöne Erkenntnis. Also es geht um mehr Teilhabe, relativ früh in den Prozess mit eingebunden zu werden. sich nach außen hin zu öffnen, um mehr Transparenz und einfach um das Vermitteln, dass man auch mal Vertrauen in vermeintlich fachfremde Personen wie beispielsweise Chiara haben kann. Okay, und was hat Doreen Mölders von dem Projekt mitgenommen?
SZHK: Das andere große Learning war, den Ernst der Wissenschaft auch mal hinter sich zu lassen.
DM: Natürlich arbeiten wir immer so, dass alles auf den neuesten Forschungsergebnissen beruht und alles wissenschaftlich abgesichert ist. Aber wir vermitteln es auf eine Art und Weise, die auch Spass machen kann. Das macht Laune, das fetzt.
BT: Und jetzt machen wir einen radikalen Schnitt. Vom Museum als Co-Labor zu einem Fond-Digitalprojekt, das Partizipation und Mitgestaltung an der Wurzel packt. Nextmuseum.io, so heißt die digitale Plattform, die das Museum Ulm und das NRW Forum in Düsseldorf aufgesetzt haben, um gemeinsam mit dem Schwarm Ausstellungen zu kuratieren. Der Schwarm, das sind KünstlerInnen, Institutionen und alle Menschen, die sich für Kunst und Digitales begeistern.
Marc Niehoff (MAN): Wir haben halt so ein bisschen gehofft, dass wir nicht nur Urlaubsfotos bekommen.
SZHK: Das ist Marc Niehoff. Haben Sie dann Urlaubsfotos auch bekommen?
MAN: Tatsächlich eigentlich gar nicht so viel. Das war dann gar nicht das Problem.
SZHK: Marc Niehoff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zeppelin-Museum in Friedrichshafen am Bodensee.
MAN: Ich bin eben vor allem für die Sammlung zuständig und wenn ich Ausstellungen kuratiere, dann ergeben die sich meistens aus der Sammlung heraus.
SZHK: Und so war es auch bei der Ausstellung “Beziehungsstatus offen - Kunst und Literatur am Bodensee”. Mark Niehoff waren in der Sammlung Werke aufgefallen, die alle irgendwie einen Bezug zum Bodensee hatten.
MAN: Zum Beispiel ein Porträt von Martin Walser, das André Ficus gemalt hat. Wir haben auch Werke von Hans Purmann, der mit Hermann Hesse befreundet war.
SZHK: Entweder die Künstler haben da mal gewohnt, haben da Urlaub gemacht oder hatten eine andere Verbindung damit. Egal, Hauptsache Bodensee. Und daraus entstand die Idee, eine Ausstellung zum Thema “Kunst und Literatur am Bodensee” zu kuratieren.
BT: Sehr schöne Idee.
SZHK: Finde ich auch. Aber die Kunstwerke und die Literatur, alles was es dazu so in der Sammlung des Museums gab, war vom Anfang des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Also da war nichts aktuelles dabei.
BT: Es fehlt die zeitgenössische Kunst.
SZHK: Ja, irgendwas was interessant wäre für Menschen wie mich zum Beispiel, die Martin Ficus oder Hans Pomer nicht sofort kennen.
BT: Okay und welche Lösung hatten sie dann?
SZHK: Sie haben sich geöffnet.
MAN: In diesem Zusammenhang haben wir gesagt, dass wir dann eben Aufruf starten und BesucherInnen motivieren, ihre Kunstwerke einzureichen, also dass sie mitmachen sozusagen, dass sie ausgestellt werden. Genau, da war NEXT Museum eben die perfekte Plattform.
BT: Wow, also selber Kunstwerke einreichen in einem Museum, das heißt jeder und jede konnte da mitmachen?
SZHK: Absolut alle. Die InitiatorInnen von nextmuseum.io standen vor einem Problem. Museen konkurrieren ja nicht nur mit anderen kulturellen Institutionen um die Aufmerksamkeit und Zeit von den Menschen, sondern auch mit Streaming-Diensten, mit Social Media, mit, keine Ahnung, allen möglichen Sachen und das nicht erst seit der Corona-Pandemie.
BT: Also eine ähnliche Situation wie beim Projekt der Blackbox-Archäologie.
MNE: Also so die Zielgruppe 16 bis 35 ist schwer umkämpft.
SZHK: Das ist Marina Nething.
MNE: Ich bin die Projektmanagerin am Museum Ulm für nextmuseum.io.
SZHK: Marinas Team hat sich mit den KollegInnen vom NRW-Forum in Düsseldorf die Frage gestellt, was müssen wir denn anbieten, damit junge, digital-affinere Menschen zu uns ins Museum kommen? Und die Antwort lag genau da, im digitalen Raum.
BT: Wo wir uns ja alle eigentlich ständig bewegen und unsere Zeit verbringen. Meistens aber eher passiv, also konsumierend.
SZHK: Ja, wobei nicht nur. Also egal bei welcher Social Media App, du kannst ja fast immer kommentieren oder an Abstimmungen teilnehmen oder Personen folgen und so weiter. Also du hast eine digitale Wirkung und das wollte sich nextmuseum.io zunutze machen.
BT: Okay, und wie genau funktioniert die Plattform?
SZHK: Nextmuseum.io ist eine Plattform für Schwarmkuration und der Schwarm, das sind wir alle. Wir werden also jetzt in einem öffentlichen Aufruf, einem sogenannten “Open Call”, von einer Kulturinstitution dazu eingeladen, uns an kuratorischen Prozessen zu beteiligen, also mit zu kuratieren. Das heißt eigene Kunst einreichen oder darüber abstimmen, welche Kunst in einer Ausstellung gezeigt wird oder an Workshops teilnehmen.
BT: Okay, also ich verstehe, wieso das Zeppelin-Museum die Plattform ausgewählt hat. Und wie hieß nochmal der Kurator?
SZHK: Marc Niehoff.
BT: Ja, wie hat er mit seinen Kolleginnen dann aus den eingereichten Werken die besten ausgewählt?
SZHK: Also er hat eigentlich gar nichts ausgewählt.
MAN: Wir haben dann gesagt, wenn alles eingereicht werden darf und wenn das eben so partizipativ sein soll, dann ist die Abstimmung eben auch partizipativ.
BT: Oh, also ich sag mal vorsichtig, das ist ja tatsächlich ungewöhnlich, dass das Museum auch noch die Öffentlichkeit aussuchen lässt, was in die Ausstellung kommt, nachdem es ja schon nach den Werken an sich gefragt hatte, oder?
SZHK: Ja, und es haben sich auch noch total viele Leute beteiligt.
MAN: Wir hatten 3500 UserInnen, die abgestimmt haben und die 20 Werke mit den meisten Stimmen haben dann eben gewonnen.
SZHK: Und wie fühlt sich das an, wenn man eigentlich selber eine Ausstellung kuratiert und dann muss man sozusagen die Entscheidungshoheit abgeben an 3500 Leute, die mitbestimmen?
MAN: Ja, Gott sei Dank an 3.500 Leute, wenn es nur 12 gewesen wären, wäre es schwierig geworden. Aber ja, auf der einen Seite ist es natürlich, man gibt es ab. Also das, was man sonst als Kurator, als Kuratorin eben, was ja die Hauptaufgabe ist, auch die Auswahl von Werken. Das war jetzt relativ leicht, fand ich, weil es ja nur ein Teil der Ausstellung war.
SZHK: Es ging ja nur um den Teil der Ausstellung, der einen Gegenwartsbezug haben sollte. Und da finde ich es ehrlich gesagt total schlüssig, dass der Schwarm mit abstimmt, was in die Ausstellung soll und was nicht.
BT: Okay, ich verstehe. Aber was ist, wenn ich auf Instagram sehr viele Menschen habe, die mir folgen und dann meine FollowerInnen bitte, für mich abzustimmen? Das ist doch unfair den Personen gegenüber, die weniger Reichweite haben, aber eventuell die bessere Kunst machen.
SZHK: Ja, das ist total die wichtige und große Frage, die sich auch Marc Niehoff und seine KollegInnen vom Zeppelin-Museum gestellt haben. Und für dieses Projekt war ihre Antwort, dass sie das einfach jetzt in Kauf nehmen. Aber die Leute hinter nextmuseum.io wissen natürlich auch um diese potenzielle Schieflage und bieten deswegen Alternativen an. Als Marina Nething im Museum Ulm die allererste über nextmuseum.io kuratierte Ausstellung überhaupt betreut hat, hat sich das Team zum Beispiel für eine andere Methode entschieden. Und zwar sollten die Leute im Voting die Kunstwerke online kommentieren und darauf basierend wurden sie dann ausgewählt. Also kein Voting sozusagen, sondern es ging um die Kommentare.
Marina Nething (MNE): Wir wollten wissen, was berührt die Menschen bei diesem oder jenem Kunstwerk? Warum wollen sie das unbedingt in der Ausstellung haben? Und da gab es ein paar ganz interessante Kommentare. Und so haben wir unsere Auswahl getroffen und die gefunden, die durch die Community dann in die Ausstellung gekommen sind.
BT: Aber da hat dann das KuratorInnen-Team ja doch wieder mehr Entscheidungsmacht als die Community.
SZHK: Ja, stimmt. Aber ich glaube, das Museum muss halt irgendwie schauen, dass die Auswahl zu sich und zu der Ausstellung passt. Also in der Ausstellung in Ulm war die komplette Ausstellung schwarmkuratiert, inklusive der eingereichten Kunstwerke. Das ist dann einfach nochmal ein anderes Maß als im Zeppelin-Museum, wo nur ein Teil abgegeben wurde.
BT: Und wie kommt die Plattform jetzt in der Szene an? Denn das ist ja schon ein richtig großer Unterschied dazu, wie sonst kuratiert wird. Ich meine, KuratorIn, das ist ein Beruf. Leute bringen Erfahrung, Expertise mit etc. Und dann kommt da jemand und sagt salopp formuliert, och, ja, hier, lassen wir doch mal die Öffentlichkeit ran.
SZHK: Also es gab auf jeden Fall gemischte Reaktionen. nextmuseum.io ist als Plattform für Co-Kuration gestartet. Da gab es erstmal so richtig Gegenwind, weil Co-KuratorIn ist eine professionelle Berufsbezeichnung, die die Profis sich nicht so gerne mit LaienkuratorInnen teilen wollten. Also wurde das Wording nochmal angepasst und aus Co-Kuration wurde Schwarmkuration.
MNE: Es ging um eine kleine Justierung, die wir vorgenommen haben und daraufhin konnte man viel besser miteinander sprechen, KuratorInnen auch vermitteln, dass wir ihnen hier ein Angebot, ein Tool an die Hand geben, mit dem sie ein paar Probleme lösen können oder einen neuen Weg einschlagen können, um erfolgreicher zu sein.
BT: Ist schon auch nachvollziehbar, also wenn die Profis da so, ich sage mal, zurückhaltend reagieren, wenn plötzlich eine unbekannte Gruppe den eigenen Job machen soll.
SZHK: Wobei es darum ja eigentlich gar nicht so richtig geht, also den Job übernehmen. Es geht eher darum herauszufinden, was wünschen sich die Leute denn? Und wie genau dann damit umgegangen wird, ist quasi nur der zweite Schritt.
MNE: Können wir öffentlich finanzierten Museen es uns wirklich leisten, nicht von unseren BesucherInnen aus zu denken? Also für mich, die ich aus dem Marketing ursprünglich komme, ist es eine Selbstverständlichkeit. Das bedeutet, dass ich mal hinhöre, hinschaue, mir die Bedürfnisse, die Interessen angucke und mir überlege, wie ich diese Menschen erreiche.
SZHK: War aber schwerer als am Anfang gedacht, hat mir Marina Nething erzählt, weil KollegInnen Vorbehalte hatten.
MNE: Wir waren davon überzeugt, dass andere Häuser da auch ein Interesse daran haben könnten, haben uns aber sehr schnell mit dem Vorwurf konfrontiert gesehen, dass bei kollaborativen Projekten nicht unbedingt bessere Ausstellungsergebnisse zu sehen sind, also dass die Qualität von Ausstellungen abnimmt, wenn die Öffentlichkeit mitentscheiden darf. Und ja, auch dass da ein Mehraufwand entstünde.
BT: Ja, klingt nachvollziehbar, aber ist die Kritik auch berechtigt?
SZHK: Naja, also Marina Nething sagt, ja, der Aufwand ist größer, aber es entstünden so auch Ausstellungen mit mehr Relevanz.
MNE: Das ist unser Ergebnis nach all den Open Calls, die wir begleiten durften, dass da Ausstellungen entstanden sind, die für mehr Menschen relevanter sind und somit auch eine größere Chance haben, Menschen wieder in den Kontakt mit Museum zu bringen. Ob sie nun direkt ins Museum gehen, ist eine Sache, aber sie haben die Institution Museum wieder ein bisschen auf dem Schirm.
SZHK: Und da wird's jetzt tricky. Das Museum Ulm hat bei der schwarmkuratierten Ausstellung “Kunstreichgewächse” festgestellt, dass mehr jüngere Menschen ins Museum gekommen sind. Aber wird es immer so sein? Schwer zu sagen. Genau wie die Frage, wann eine Ausstellung denn besser ist. Ist sie besser, wenn mehr BesucherInnen kommen? Oder wenn jüngere BesucherInnen kommen? Nora Sternfeld, die Museumsforscherin, hat mir gesagt, beim Kuratieren gehe es unter anderem darum, einen Kontext herzustellen.
NST: Zwischen Dingen und Leuten und Räumen und Zusammenhängen und Worten, indem Widersprüche, Zusammenhänge, die eben in der Geschichte oder in der Gegenwartskunst stecken, im Raum spürbar werden und auch diskutierbar.
SZHK: Und wenn der Schwarm es schafft, diesen Kontext herzustellen, dann kann dadurch ein Raum entstehen, der im Idealfall sogar für viel mehr Personen zugänglich ist, als wenn er nur von einer Person kuratiert wurde.
BT: Und was hat Projektmanagerin Marina Nething den Kuratoren gesagt, die beispielsweise Vorbehalte gegenüber dem Schwarm hatten, weil sie die Sorge hatten, dass die Ausstellung dann nicht mehr so gut wird?
MNE: Wir sagen, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt, wenn man gesellschaftlich relevant bleiben möchte, als sich mit den Interessen und Bedürfnissen von BesucherInnen zu beschäftigen. Und dass sie es doch bitte nicht dem Marketing alleine überlassen sollen, Menschen ins Museum zu bekommen. Das wird nicht funktionieren. Ich glaube oder wir glauben, die Auseinandersetzung muss über die Inhalte funktionieren.
SZHK: Das klappt natürlich nicht immer. Marina Nething hat mir von dem Museum für Brot und Kunst in Ulm erzählt, die über nextmuseum.io eine Ausstellung zum Thema Düngerschwarm kuratieren wollten. Aber es hat einfach niemand mitgemacht.
MNE: Da ist die Community leider einfach nicht angesprungen.
BT: Aber das ist ja auch schon mal eine sehr gute Erkenntnis für das Museum. Also wenn sie die Ausstellung sonst einfach so gemacht hätten, wäre vielleicht kaum oder gar keiner gekommen. Viel Dünger, wenig Ertrag.
SZHK: Ja, genau so.
BT: Was passiert denn eigentlich mit nextmuseum.io, wenn der Förderzeitraum endet und es kein Fond-Digitalprojekt mehr ist, wenn also das Geld nicht mehr fließt?
SZHK: Die Frage hat sich das Team bei nextmuseum.io auch gestellt und die Antwort ist so radikal dezentral, wie man es sich überhaupt nur vorstellen kann. Und zwar plant das nextmuseum.io-Team eine DAO aufzubauen.
MNE: Eine DAO ist eine dezentrale, autonome Organisation, die ihre Heimat auf der Blockchain hat.
BT: Ah, cool.
SZHK: Kennst du das?
BT: Ja, das ist einfach ein bisschen wie eine digitale Aktiengesellschaft, verortet in der Blockchain. Wer dabei sein will, der erwirbt einfach einen Token, also einen virtuellen Vermögenswert.
SZHK: Marina Nething hat mir dann auch noch erklärt, dass der große Unterschied auf der Blockchain ist, dass es keine großen Aktionäre mit viel Macht gibt, sondern alle Vorgänge werden dezentral und gleichberechtigt durch die Mitglieder geregelt.
MNE: Unser Ziel ist es, mit einer Operational DAO anderen Häusern, Techies und auch interessierten Personen möglich zu machen, bei nextmuseum.io wirklich mitzumachen, also ein Stück zu erwerben und damit sowohl Rechte als auch Pflichten was die Weiterführung der Plattform angeht, zu erwerben.
BT: Okay, spannende Idee auf jeden Fall. Aber soweit ich weiß, bewegt sich das alles noch in der rechtlichen Grauzone, oder?
SZHK: Ja, du hast recht. In Deutschland ist das noch nicht wirklich geregelt. Und umso spannender ist es, den Start der nextmuseum.io - DAO zu beobachten. Vielleicht sogar schon in 2024.
BT: Es bleibt spannend und gespannt sein könnt ihr auch auf die nächste Folge unseres Podcasts. Dann gehen wir wieder mit dir, Sarah, ins Theater und erfahren, wie die Bühne digital wird. Danke dir für die vielen Learnings rund um das Thema Partizipation im Museum.
SZHK: Sehr gerne. Danke fürs Zuhören.
Sprecherstimme: Gamechanger - Wie digitaler Wandel die Kultur verändert, ist eine Produktion der Kulturstiftung des Bundes, gemeinsam entwickelt mit Pola Berlin. Am Mikro war als Host Boussa Thiam und als Reporterin im Studio Sara Zarreh Hoshyari Kha. Die Redaktion bei der Kulturstiftung hatten Juliane Köber und Julia Mai. Das Sounddesign kam von Feature Music. Produktion und Schnitt Frank Merford, Executive Producer Pola Berlin Dominik Schottner. Wenn dir dieser Podcast gefallen hat oder du noch Fragen oder Anregungen hast, melde dich gerne bei uns per Mail an podcast@kulturstiftung-bund.de oder mail@pola.berlin.
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