Folge 3: Der Code

Shownotes

Über digitalen Wandel nachdenken heißt auch, über Code und Software nachzudenken. In dieser Folge erfahrt ihr, wie digitale Tools, Datenbanken und KI-Anwendungen schon bei der Konzeption demokratischer und gerechter gestaltet und mithilfe von Open Source zugänglicher gemacht werden können. Dafür nimmt Reporter Yannic Hannebohn uns mit in die Amazonien-Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin. Gemeinsam mit Host Boussa Thiam zeigt er, wie eine dekolonial gedachte und vernetzte Datenbank Indigene Kunst und Kultur für das Publikum und die internationale Forschung sichtbar macht. Im Theater Kampnagel Hamburg besucht Yannic eine Code-Meditation, bei der es ziemlich physisch zugeht. Er trifft Künstlerinnen vom Kollektiv Dreaming Beyond AI und spricht mit Macherinnen vom Projekt Diversify The Code, das marginalisierten Gruppen im Tech-Bereich eine Stimme gegeben hat und das Open Source-Tool artwork zur Veranstaltungsplanung entwickelt - von der Kultur für die Kultur.

Zu hören sind u.a. Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel Hamburg), Rosi Grillmair (Künstlerin), Miriam Seixas (Projektleitung Diversify the Code), Andrea Scholz (Projektleitung Amazonien als Zukunftslabor, Ethnologisches Museum Berlin), Julia Schulze Darup (Kuratorin Deichtorhallen Hamburg), Anna Teuwen (Dramaturgin Kampnagel Hamburg), Benjamin Willems (Projektleitung und Softwareentwickler von artwork, Kampnagel Hamburg) sowie Sarah Diedro Jordão & Nushin Yazdahni (Künstlerinnen, Mitglieder von Dreaming Beyond AI).

Mehr zum Podcast: www.kulturstiftung-des-bundes.de/podcast-gamechanger

Amazonien als Zukunftslabor: https://uclab.fh-potsdam.de/projects/amazonia-future-lab/ (Ethnologisches Museum (Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin), Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin (Freie Universität Berlin) & Museu Nacional Rio De Janeiro (Brasilien).

Diversify the Code: https://diversifythecode.com/de (Deichtorhallen & Kampnagel Hamburg)

Zum Fonds Digital: www.kulturstiftung-bund.de/kulturdigital

Wenn ihr Fragen und Gedanken zur Folge oder generell zum Thema habt, dann schreibt uns gern: podcast@kulturstiftung-bund.de

Transkript anzeigen

Podcast: Gamechanger – wie digitaler Wandel die Kultur verändert

Folge 3: Der Code – Ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes, gemeinsam entwickelt mit Pola.Berlin.

Host: Boussa Thiam (BT)

Reporter dieser Folge: Yannic Hannebohn (YH)

Yannic Hannebohn (YH): Stellen sie sich eine Pflanze vor, die nicht nur ein Nahrungsmittel ist, sondern eine Quelle lebensnotwendiger Ressourcen. Von der Ölgewinnung bis zur Korkproduktion, vom Weben von Matten bis zur Herstellung von Wein. Das ist die Buriti-Palme, die in ganz Südamerika von Brasilien bis Venezuela heimisch ist und für die Menschen am Fluss Xingu im Bundesstaat Mato Grosso unersetzlich.

Dr. Andrea Scholz (AS): Und als wir schon vor einem Jahr im Xingu waren, haben die Frauen sich gewünscht, dass sie Matten aus Buriti herstellen.

YH: Das ist Dr. Andrea Scholz vom ethnologischen Museum in Berlin, zusammen mit dem Ibero-Amerikanischen Institut und dem Museo Nacional Rio de Janeiro in Brasilien hat die Ethnologin mit ihrer Institution das Fonds Digital Projekt “Amazonien als Zukunftslabor” auf den Weg gebracht.

AS: Das sind so Matten aus der Rippe vom noch nicht geöffneten Blatt. Also es ist auch wirklich ein sehr komplexer Prozess der Herstellung der Primärmaterialien. Und diese Matten werden eigentlich verwendet, um Maniok auszupressen. Und die Matten sind aber gleichzeitig auch für alle möglichen anderen Sachen zu gebrauchen.

Sprecherstimme: Gamechanger - wie digitaler Wandel die Kultur verändert. Ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes. Folge 3. Der Code.

YH: Die Buriti-Palme, aus der die Matten gemacht sind, ist ein Schweizer Taschenmesser der Natur. Wer einmal ihr tiefrotes Öl oder ihre faserigen Blätter gesehen hat, versteht, warum sie in vielen Hausgärten und Dörfern geschützt wird. Sie ist robust, toleriert Überschwemmungen, ist Werkzeug und Nahrungsquelle zugleich. Aber mehr noch: Die Palme ist ein kulturelles Symbol. Am Xingu lernte das Team um Andrea Scholz Kanu kennen, eine indigene Frau, die ihnen eine Legende rund um die Buriti-Palme erzählte.

Sprecherin: In einer Zeit, in der die Welt noch jünger war, führte eine Mutter ihren Sohn durch den Wald, um Tate, das sind Buriti-Fasern, zu sammeln. Der Sohn war fasziniert von den Buriti-Stielen und fragte seine Mutter: “Mutter, könntest du das in eine Person verwandeln, um meine Frau zu sein?”. Die Mutter stimmte zu und so verwandelte sich ein besonders schöner Buriti-Stiel in eine Frau. “Du hast von mir gesprochen?”, sagte sie, um sich vorzustellen. Obwohl sie zunächst ein Rätsel für den Mann und seine Familie war, zeigte sie bald ihre besondere Fähigkeit. Sie fand die schmutzige Hängematte ihres Mannes und beschloss, sie zu verbrennen. Dann tropfte sie die Asche in einen Behälter und inhalierte sie durch die Nase. Im nächsten Moment erschuf sie durch die Kraft dieses Rituals eine neue, wunderschöne Hängematte. Sie tat das gleiche für die Hängematten der Schwiegereltern. “Hier sind eure Hängematten”, verkündete sie, als ob sie Magie gewirkt hätte. Aber die anderen machten sich über sie lustig, verspotteten sie. Traurig sagte sie zu ihrem Mann: “Ich mag es nicht, verspottet zu werden”. Der Sohn versuchte sie zu halten, doch sie ging zurück zu ihrem Ursprungsort in das Wasser und nahm ihre magische Gabe mit sich. Von da an konnten die Menschen Hängematten nur noch mit ihren Händen herstellen.

Boussa Thiam (BT): Hallo und herzlich willkommen zur dritten Folge von Gamechanger - wie digitaler Wandel die Kultur verändert. Mein Name ist Boussa Thiam und ich hoste den Podcast. Gamechanger ist ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes. Die hat mit ihrem Fonds Digital öffentliche Kultureinrichtungen vier Jahre lang dabei unterstützt, wegweisende digitale Projekte umzusetzen, sich zu öffnen und neue Wege der Zusammenarbeit zu gehen. Wir besuchen einige der MacherInnen und hören, was sie zum digitalen Wandel in Museen, Theatern und Gedenkstätten zu erzählen haben. In dieser Folge geht es um den Code und wie er in der Kunst und Kulturbranche verwendet wird, um etwa Kunstwerke, Apps, Datenbanken und digitale Werkzeuge offener, zugänglicher und antidiskriminierend zu gestalten. Recherchiert und geschrieben hat die Folge Yannic Hannebohn. Yannic, was erwartet uns genau?

YH: Wir hören heute von Menschen aus zwei Projekten. Einmal “Diversify the Code”, das von den Deichtorhallen und Kampnagel in Hamburg und dem Chaos Computer Club, also dem digitalen Partner des Projekts, durchgeführt wurde. Und eben von “Amazonien als Zukunftslabor”, von dem haben wir ja vorher schon gehört. In beiden Projekten geht es darum, künstlerische Produktion, Wissensvermittlung und Arbeitsstrukturen, also diese drei Dinge mit digitalen Technologien neu zu definieren und dabei kritisch zu schauen, welche Rolle spielt der Code dabei?

BT: Super interessant. Yannic, damit wir alle das gleiche Verständnis haben, kannst du nochmal kurz und kompakt erläutern, was heißt eigentlich “Code”?

YH: Hier in dieser Folge meinen wir, wenn wir Code sagen, maschinenlesbare Zeichensysteme, die Daten für den Computer in Rechenbefehle umsetzen.

BT: Also daran auch geknüpft die Frage: Wer sind die Architekten? Wer gestaltet das Design vom Code, wenn es beispielsweise um dekoloniale Fragen geht?

YH: Ja, voll, weil nur wenn beim Code Diversität von Anfang an mitgedacht wird, kann Software oder ein künstlerisches Werk der Vielfalt der Menschen gerecht werden und breite digitale Teilhabe ermöglichen. Und welche Rolle die Buriti-Palme spielt, das habe ich mir beim Projekt “Amazonien als Zukunftslabor” erzählen lassen.

AS: Das ist eine Sammlung, die stammt aus den Jahren 1884 und 1887, gesammelt von einem Menschen namens Karl von den Steinen, der war Arzt und dann eben später auch Ethnologe. Und der gilt laut der Xiguanos als der erste Weiße, den sie befriedet haben.

YH: In der Sammlung des ethnologischen Museums befinden sich einige Objekte, die auf Karl von den Steinen zurückgehen. Die dazugehörigen Informationen stehen auf alten Karteikarten und sind in dieser Form in der bestehenden Datenbank erfasst. Doch damit gibt es ein Problem, das Flavia Heinz, Kollegin von Andrea Scholz und Projektkoordinatorin, so erläutert.

Flavia Heinz: Weil also die Objekte oder Artefakte, wie sie beschrieben werden, wie man sie so klassisch im Museum kennt, entspricht nicht unbedingt oder nicht wirklich der Perspektive der indigenen Bevölkerung. Und das liegt auch daran z.B. dass die Datenbanken schon alleine diese Art von Wissen nicht unterstützen. Dass diese Datenbanken, das Wissen um diese Artefakte, wie das Wissen organisiert ist, schon problematisch ist oder eher der westlichen Perspektive entsprechen.

YH: Während ich mit Dr. Andrea Scholz durch die Sammlung des ethnologischen Museums wandere, kommen wir an Glaskästen vorbei. In einer ist eine Matte ausgestellt. Die Matte. Sie ist aus Fasern der Buriti-Palme gefertigt und steckt voller Geschichten und Essensresten.

AS: Es ist 140 Jahre alt, muss man sich mal reinziehen.

YH: Das sind Essensreste.

AS: Essensreste von vor 140 Jahren.

YH: Ich sehe hier gerade, steht da Stein, oder?

AS: Genau, das ist von den Steinen. Genau. Karl von den Steinen. Dr. von den Steinen.

YH: Dr. von den Steinen. Der hat es damals aufgeschrieben.

AS: Genau.

YH: Ist das seine Handschrift?

AS: Ne, das ist die Handschrift von dem, der das nachher inventarisiert hat.

YH: Unser Blick fällt auf die alte Karteikarte, etwas kleiner als ein A5-Format. Sie trägt den Katalogeintrag VB 2512 und zeigt schematisch die Darstellung der Matte.

Sprecherstimme: Katalogeintrag VB 2512. Einheimischer Name: Inari. Gegenstand: feinstes Tuch, Buriti-Sieb. Maße: 39 x 37 cm. Herkunft: Nahugua. Sammler: von den Steinen.

YH: Inwiefern unterscheidet sich jetzt quasi diese Datenbank von der Datenbank, die ihr macht?

AS: Das ist ja keine Datenbank, das ist eine Karteikarte.

YH: Naja, viele Karteikarten ergeben ja…

FH: Ja, aber diese Daten werden in die Datenbank eingetragen.

AS: Ja, ja, genau.

FH: Die auf der Karteikarte sind. Aber die Datenbank vom Projekt erlaubt ja diese Verbindungen, die man in diesen normalen, üblichen Datenbanken nicht sieht.

AS: Genau, weil hier steht ja eigentlich gar nichts drauf. Hier steht drauf, für was es ist und aus was es ist, steht aber auch nicht drauf. Und unsere Datenbank würde ja dann oder eröffnet ja Türen in alle möglichen anderen Wissensdomänen irgendwie. Also man könnte mehr über die Buriti als Palme erfahren, als Pflanze. Dann könnte man von der Buriti-Palme zu anderen Objekten kommen, die auch aus Buriti sind.

BT: Okay, es geht also um eine Datenbank, die entwickelt wird und mit digitaler Technologie kann man dann sozusagen ein Problem des analogen Museums lösen?

YH: Ja, kann man so sagen. Die Objekte, die dafür aus postkolonialer Sicht neu erschlossen werden, hat das ethnologische Museum natürlich nicht allein ausgewählt, sondern zusammen mit VertreterInnen indigener Gruppen, den Partnern und weiteren WissenschaftlerInnen.

BT: Wie z. B. die Matte aus der Buriti-Palme?

YH: Ja, die Objekte der Sammlung wie die Matte, sind eben mehr als eindimensionale Artefakte. Sie bergen viele Informationen über ihre Herkunft, Beschaffenheit und Bedeutung für die indigenen Kulturen. All das möchte das ethnologische Museum dem Publikum in Zukunft näherbringen. Die Legende, die wir zu Beginn von der indigenen Frau Kanu gehört haben, wäre übrigens so eine Information, die die BesucherInnen und ForscherInnen zukünftig abrufen können, wenn sie die Buriti-Matte analog und digital betrachten.

BT: Und die Basis dafür ist die neue Datenbank mit einem Code, der weitverzweigte, international abrufbare Verknüpfungen der Objekte und ihrer Bedeutungen zulässt. Das wäre für die Museumsarbeit und die Vermittlung ja ein echter Gamechanger.

YH: Ja, ausführlich hat mir das Fidel Thomet per Sprachnachricht erzählt. Fidel ist einer der EntwicklerInnen von der FH Potsdam, die das Projekt als digitaler Partner unterstützt.

Fidel Thomet: Wenn wir jetzt gerade auch die Datenbanken unserer ProjektpartnerInnen anschauen, dann haben wir dort Datenbanken, die sehr eben auf ethnologische Artefakte fokussiert sind oder eben auf biologische, pflanzliche Artefakte und quasi darauf optimiert sind, diese bestimmten Typen dann gut abbilden zu können. In unserer Datenbank sind wir da viel offener und können ganz beliebige Formen von Entitäten erfassen, die ja viel stärker immaterielle Sachen auch abbilden. Also sowohl Produktionsprozesse, aber auch z.B. Mythen oder Erzählungen, was uns eben wiederum erlaubt, diese Multiperspektivität zu unterstützen.

Nora Al-Badri (NAB): Also was mich so geschockt hat ein Stück weit, ist…

YH: Und das ist Nora Al-Badri, Medienkünstlerin aus Berlin, mit ihr habe ich allgemein über den ethisch korrekten Umgang mit indigenen Werken gesprochen.

NAB: …dass diese Essentialisierung, die man aus der Kolonialgeschichte kennt, nämlich das heißt, dass man die indigenen Gruppen zu einer essentiellen Idee vereinfacht. Also was sind die anderen? Die anderen sind entweder afrikanisch, indisch, arabisch und so weiter. Und sowas ähnliches findet leider auch bei KI statt, würde ich sagen, weil jedes Datenpaket wird eben auch in Kategorien und Labels gepackt, die von den MacherInnen vorbestimmt sind. Und damit manifestiert es noch mehr ein bisschen, wie wir die Welt teilweise schon sehen. Also nämlich oft leider in binären Modellen. Also es gibt eben “fixed gender” und “fixed races” und so wird es eben auch kategorisiert.

YH: Und genau das, was Nora Al-Badri hier eben angesprochen hat, diese Vielfalt, die allein durch die Art der Kategorisierung bis heute nicht sichtbar gemacht wird, das wurde mir in der Sammlung bewusst, wie tiefgreifend das Projekt Amazonien als Zukunftslabor ist. Nimm z.B. mal diese Buriti-Palme vom Anfang. Okay, könnte man da denken, die machen halt diese Matten draus und noch ein bisschen was anderes. Aber wie viel größer die Bedeutung der Palme im Alltags- und Ritualleben der indigenen Bevölkerung ist, das hat eben die Arbeit des Projektteams erst für diesen Teil der Erde sichtbar gemacht.

BT: Also ich finde auf jeden Fall sehr schön, dass es offensichtlich eine Zusammenarbeit zwischen den Museen gab.

YH: Absolut. Die nehmen quasi diese Artefakte aus ihren Sammlungen, hier aus dem ethnologischen Museum und zeigen, dass es ein Symbol ist für die globale Vernetzung von Wissen, für ein weltweites Geflecht, wenn man so will, aus Kulturen, Geschichten, aber auch aus kolonialen Zusammenhängen, die viele Sammlungen westlicher Museen bis heute kennzeichnen.

BT: Also ich fasse nochmal zusammen: Digitale Technologien und Werkzeuge helfen dabei, die alten Datenbanken dekolonial aufzuarbeiten. Kommen wir zum nächsten Schritt. Wie kommt das alles zum Publikum?

YH: Die Visualisierung vom Wissen passiert jetzt als Netzwerk und nicht mehr linear, wie man es so aus Museen eben kennt, mit allen Verbindungen der Entitäten untereinander. Und das ermöglicht neue Formen der Wissensvermittlung und gemeinsame internationale Forschung auf Augenhöhe mit indigenen Kulturen. Wie das konkret aussieht, ich habe bisher zwei Demoversionen gesehen und die Ergebnisse des Projekts werden dann visuell aufbereitet und sind ab 2024, Ende 2024 im Humboldt Forum in Berlin zu sehen.

BT: Also sehr spannend und mittendrin natürlich das Herzstück all dieser digitalen Transformation von multidimensionalen Datenbanken und interdisziplinären Forschungen, der Code.

YH: Absolut. Der Code ist das unsichtbare Bindeglied und das bindet alle Daten, Kontexte und Geschichten miteinander zusammen. Der Code ermöglicht es nicht nur, tief in die Geschichte, Herkunft und ursprüngliche Bedeutung von Objekten einzutauchen, sondern eben auch über die einzelnen Objekte hinaus Verbindungen herzustellen, die dann ein komplexes Netzwerk bilden. Wenn wir jetzt also die Geschichten hinter den Objekten aufdecken wollen, müssen wir immer den Quellcode mit betrachten, weil nur so können wir sicherstellen, dass dieses Wissen in seiner vollen Tiefe, Ethik und Integrität erzählt wird. Das steckt im Quellcode. Jedes Sammlungsstück erhält so die Chance, die Grenzen einseitiger bzw. ehemals kolonialer Darstellungen zu durchbrechen und eine Brücke in die Zukunft zu schlagen.

BT: Okay, das ist jetzt sehr komplex. Es geht um Haltung und Aufklärung. Eine Sache nehme ich daraus mit: Code bedeutet Macht. Deswegen, Yannic, lass uns doch mal an die Quelle gehen. Wie schreibt man den Code für einen kulturellen Kontext und vor allem, welche Herausforderungen ergeben sich dadurch?

YH: Ja, super Frage. Ich würde vorschlagen, dass wir an der Stelle nach Hamburg fahren, zu “Diversify the Code”. Das ist ein Projekt von Kampnagel und den Deichtauerhallen. Und das hat vor drei Jahren das Residenzprogramm “TheHost.Is” ins Leben gerufen für internationale Künstlerinnen. Bei „TheHost.Is“ haben die verschiedenen KünstlerInnen und Kunstkollektive in insgesamt vier verschiedenen Seasons an der Schnittstelle zwischen Kunst und Digitalisierung geforscht. Die Intendantin von Kampnagel, Amelie Deuflhard, hat mir das so erklärt.

Amelie Deuflhard (AD): Also es geht quasi darum, die Codes, die typischerweise überwiegend von weißen männlichen Personen geschrieben werden, zu diversifizieren, auch in Bezug auf Frauen, aber auch in Bezug auf marginalisierte Gruppen.

YH: Die KünstlerInnen, die als Residents nach Hamburg kamen, haben sich z.B. mit hegemonialen Ordnungen im Code, digitaler Selbstermächtigung und Demokratisierung digitaler Systeme beschäftigt, gespiegelt in ihrer künstlerischen Praxis. Beim Abschlusssymposium von Diversify the Code Ende 2023 spricht das Kollektiv “Dreaming Beyond AI”, das als Host die letzte Season des Residenzprogramms gestaltet hat. Und die sprechen z.B. über die Arbeit der Hidden Clickworkers. Das sind Menschen, die in Ausbeutungsverhältnissen und im Verborgenen Plattformen und KI-Anwendungen durch Contentbereinigung verbessern. Wir hören hier zuerst die Künstlerin Sarah Diedro Jordão und dann Nushin Isabelle Yazdahni.

Sarah Diedro Jordão: Wir sind ein kollaborativer Raum, ein Kollektiv, und wir versuchen, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir mit KI, Technologie und Algorithmen umgehen. Wobei wir auch sicherstellen wollen, dass wir die Ränder in den Mittelpunkt rücken und das normalisieren.

Nushin Isabelle Yazdahni: Wir als Kollektiv fragen uns, wie sehr wir uns wirklich auf diese Definition oder die Definitionen von Intelligenz einlassen wollen, die wir hier im Westen z. B. in diesem Land lernen, die so sehr von technischem Determinismus und auch von Kolonialität geprägt sind.

Anna Teuwen (AT): So ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir tatsächlich finden, dass die Diversität in der Technologie ein wichtiges Thema ist. Insofern auch, dass marginalisierte Positionen vertreten sein müssen, damit eine Technologie auch entsteht, die für eben die Menschen passend ist, die sie benutzen.

YH: Anna Teuwen, Kuratorin von Kampnagel, hat das Programm von „TheHost.Is“ co-konzipiert, zusammen mit ihrer Kollegin von den Deichtorhallen, Julia Schulze Darup. Ihr Ziel war es, den Menschen, die durch bestehende Machtstrukturen benachteiligt werden, die künstlerische Kontrolle zu übergeben.

Julia Schulze Darup: Also ich glaube, dass das ganz gut aufgegangen ist, dass wir uns da zurückgenommen haben. Und gleichzeitig muss man, glaube ich, auch als Institution, also man kann sich aus diesem künstlerischen Bereich vielleicht zurückziehen und aus der künstlerischen Produktion und der direkten Betreuung der ResidentInnen, aber ich glaube, dass man trotzdem eine Verantwortung hat und die auch einnehmen muss.

AT: Das und dann ist es halt einerseits auch manchmal ja schwierig für eine Institution, sich zurückzuhalten, weil man ja auch irgendwie eine Arbeit leistet und man will ja auch nicht die Arbeit an sich zurücknehmen. Und die Frage ist, glaube ich, eher, wie kann man sozusagen das, was man geben kann, so geben, dass es produktiv für den Prozess ist, aber nicht irgendwie dominierend.

YH: Bei der letzten Season haben sich die von “Dreaming Beyond AI” eingeladenen KünstlerInnen mit Kunst und mit künstlicher Intelligenz und mit verborgenen Machtstrukturen und dem Faktor Zeit auseinandergesetzt. Und Nora Al-Badri, die Künstlerin und KI-Kunstforscherin, hat mir dazu was wirklich Neues erzählt. KI-Kunst ist eine neue Form der Kunst,

NAB: Aber das wird vielleicht in der ganzen Serie von euch ganz deutlich oder in dem ganzen Podcast, dass man KI schon auch als einen Paradigmenwechsel auch für die Kunst sehen kann, dass es wie eine neue Fotografie ist z.B. also wenn man sagt, es ist wirklich ein neues Medium, dann ist es einfach wichtig, das Wissen um das Medium erstmal zugänglich zu machen. Insbesondere weil es eines ist, wofür man ja ein großes technologisches Vorwissen bräuchte. Auch die Instrumente verändern sich rasant, aber die Wirkweise eigentlich nicht oder wie es funktioniert. Und wenn man das einmal durchschaut hat, dann ist es auch interessant, irgendwie damit zu arbeiten und vielleicht die Tools selber sogar zu dekonstruieren.

YH: Ein Bühnenraum auf Kampnagel in Hamburg. Das Abschlusssymposium von „TheHost.Is“ läuft. Ein gutes Dutzend Interessierte haben sich hier zu einem Lesekreis eingefunden. Auf dem Plan steht eine Code-Meditation. Das ist erstmal eine gewöhnliche Meditation mit dem Twist, dass wir Kabel entlang fühlen sollen. Der Meditation folgt eine literarische Code-Interpretation, also die Interpretation von Code-Gedichten durch die Teilnehmenden. Die Gedichte hier wurden vom Verein nota e. V. mitgebracht und stammen von befreundeten ProgrammiererInnen oder sind einfach funktionsfähiger Code, der hier interpretiert werden soll.

Sprecher Code-Meditation: Also die muss ich auf Deutsch sprechen, weil das weiß ich nicht, wie die auf Englisch heißen. Also: time=date.now();

YH: “nota.space” ist ein Künstlerzusammenschluss, der der Einladung von Kampnagel im Rahmen des Projekts gefolgt ist. Das Ziel von nota.space: Code Literacy für jeden. Code Literacy, das bedeutet so viel wie Code lesen und schreiben können. Und die Kunst hilft dabei. Wer dann wirklich in einen Code reinliest, stellt schnell fest - Code ist keine neutrale Sprache, sondern beinhaltet Abhängigkeiten, Annahmen und individuelle Wege und damit auch eine bestimmte Sicht auf die Welt.

Rosi Grillmair (RG): Coden ist ein Gruppenprozess…

YH: …sagt Rosi Grillmair, Programmiererin und Gastsprecherin, die jeder Lesekreis hat.

RG: Code kann man auch unendlich oft teilen, kopieren und tweaken nennt man das, wenn man den Code verwendet von jemand anderem und so umschreibt, dass es den eigenen Zwecken entspricht. Und von dem her wird Code immer wieder übergeben. Wenn ich programmiere - den Großteil von Code brauche ich nicht mehr schreiben, weil den gibt es schon.

YH: Zur besseren Visualisierung von Code verwendet Rosi Grillmair mittlerweile das Tool “vvvv”. Das ist ein grafisches Interface, das völlig ohne Code funktioniert. Code selbst, sagt sie, stünde ihr im Weg zwischen ihren Ideen und der Umsetzung.

RG: Für mich ist es komplett schräg, Sprache zu verwenden, um einer Maschine zu sagen, was sie tun soll, wenn sie ja eigentlich nur elektronische Signale versteht. Und dieser Zwischenschritt ist aber irgendwie notwendig beim Programmieren. Und darum habe ich angefangen, mich mit der Sprache, die da irgendwie notwendig ist, auseinanderzusetzen.

YH: Rosi sieht es kritisch, dass Code wegen seiner Komplexität eine Sprache ist, die andere ausschließt.

RG: Man kann sich auch die Frage stellen, woher dieses Regelwerk kommt und wer es festgelegt hat und zu welchem Zweck. Das ist auch so die Frage, wer kann denn programmieren und welche Probleme werden uns suggeriert, sollen wir mit Code lösen können? Also da geht es viel um Anwendungssoftware, um Apps, um diese Blackbox Computer, die dann nur von den Code-Literacy-Leuten, also die, die wirklich programmieren können, die dürfen das dann entziffern. Es ist wie so eine Schwelle, die gemacht wird, um es schwerer zu haben, da einzusteigen auf dieser Technik Ebene. “Find another person and read the code in front of you. You can make it up of who starts and whatever. And read whatever you see in front of you in that mood to this person. Any acceptions? No. Okay, so group.move.”

BT: Wie ist es denn eigentlich um deine eigene Code-Literacy bestellt? Also kannst du Code lesen oder bist du vielleicht doch eher der Anwendertyp?

YH: Ich bin eher der Anwendertyp. Ich habe so ein bisschen ein grobes Verständnis von wie Code aufgebaut ist oder ich bilde es mir zumindest ein. Zumindest so einfach bei Webseiten mal in den Quelltext gucken und so weiter, das geht noch. Aber selber schreiben, no way.

BT: Ja, also bei mir ist es fast genauso. Aber ich finde jetzt noch mal ernsthaft, die Beschäftigung mit Code, KI und Kunst bei „TheHost.Is“ zeigt, wir müssen uns einfach mehr mit dem Code beschäftigen, wenn wir vor allem eine offene und vielfältige Gesellschaft sein wollen.

YH: Total. Und das führt uns auch direkt zum zweiten Teil von Diversify the Code, zum Projekt “artwork”. Das ist eine Open-Source-Software für Kulturschaffende.

Verschiedene Sprecherstimmen: Morgen. Guten Morgen. Hallo.

YH: Es ist ein typischer Morgen im Internet und das Entwicklerteam von artwork trifft sich virtuell zu seinem regelmäßigen Call. Bildschirmfenster leuchten auf und vier Gesichter erscheinen.

Benjamin Willems (BW): So, dann sind wir schon komplett für heute. Ich hatte es gerade schon mal kurz gesagt, Miriam ist krank heute, die wird nicht dabei sein. Insofern können wir gleich loslegen.

YH: Die Gruppendynamik ist entspannt, das Team gut eingespielt. Coder Jannick ergreift das Wort.

Jannick: Alide, du bist da die, die die Erfahrung hat und die weiß, was designtechnisch schlau ist. Aber wenn es halt nur darum geht, dass wir schnell ins Projekt kommen, könnte man da ja einen Button ergänzen, sobald ein Projekt verlinkt ist. Und wenn keins verlinkt ist, bietet man den Button eben auch gar nicht erst an.

Alide: Ich nehme es mal mit.

YH: Im Call ist neben Yannick noch Projektleiter Ben, die Designerin Alide und Romain vom Hebbel am Ufer Theater in Berlin. Mit artwork wollen sie Kulturschaffenden ein modulares Open-Source-Tool an die Hand geben, mit dem diese dann interne Prozesse und Veranstaltungen planen können. Aber erst muss dieses Tool noch entwickelt werden.

BT: Gut, und wenn es soweit ist, was kann artwork? Also wie unterstützt das Tool die tägliche Arbeit?

YH: Also erstmal klingt diese Software total unspektakulär, das gebe ich auch zu. Sie ermöglicht die Planung von Events, von Ausstellungen und Performances in einer digitalen Umgebung. Okay, aber hier geht es um Benutzerfreundlichkeit und Design. Die stehen im Vordergrund.

Miriam Seixas: Ich glaube, womit man dann doch auch die SkeptikerInnen unter den MitarbeiterInnen schneller bekommen hat, ist, als ihnen klar wurde, dass sie halt mit konzipieren können und dass ihr Feedback ja wirklich dann auch in die Entwicklung und in die Umsetzung der Software eingeht. Das ist ein Stück auch von ihnen. Am Ende ist, und das ist ja damit ganz, ganz anders vom Prozess, als wenn man eine Software einkauft, die man einfach dann nur ausrollt im Haus.

YH: Den “Use Case” also immer wieder erklären, das war neben der Entwicklungsarbeit eine essentielle Aufgabe für das Gelingen von artwork.

BW: Am Ende profitiert die Kunst ja auch davon, wenn Abläufe effizienter laufen, wenn man sich Arbeiten spart und dann mehr Zeit hat für kreative Tätigkeiten. Merkt, wenn irgendwo vielleicht Lücken sind und finanzielle Engpässe frühzeitig festgestellt werden etc. Und wir merken aus dem Rücklauf, den wir bekommen, aus dem Feedback und den Anfragen, den wir von anderen Häusern bekommen, dass da auf jeden Fall ein großer Bedarf ist in dem Bereich, dass viele Häuser sich so ein Tool oder vielleicht auch so generell solche Tools wünschen und die im Moment viel zu kurz kommen, auch in solchen Förderungen, die sich dann immer sehr auf die Kunst konzentrieren.

BT: Wir haben unsere Reise begonnen mit einer Burriti-Matte in Amazonien und enden auf einem Symposium in Hamburg. Auf den ersten Blick haben beide von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Projekte wenig miteinander zu tun. Aber beide verbindet der Code, der wie ein Netz die Kunstprojekte, vermutlich alle digitalen Kunstprojekte definiert. Und das heißt, Code bestimmt, was uns gezeigt wird. Code verändert unsere Realität. Herzlichen Dank für deine großartige Recherche, Yannic.

YH: Danke dir.

BT: In Folge 4 gehen wir mit Reporterin Änne Seidel unter anderem ins Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Das Gebäude war mal eine Munitionsfabrik und ist allein deswegen schon imposant. Und Änne hat sich dort die Potenziale von KI im Museum erklären lassen. Mein Name ist Boussa Thiam. Machen sie es gut.

YH: Tschüss.

Sprecherstimme: “Gamechanger - wie digitaler Wandel die Kultur verändert” ist eine Produktion der Kulturstiftung des Bundes, gemeinsam entwickelt mit Pola.Berlin. Am Mikro war als Host: Boussa Thiam und als Reporter im Studio: Yannick Hannebohn. Die Redaktion bei der Kulturstiftung hatten Juliane Köber und Julia Mai. Das Sounddesign kam von Feature Music, Produktion und Schnitt: Frank Merfort, Sprecherin: Tina Amon Amonsen, Executive Producer: Pola.Berlin, Dominik Schottner. Wenn dir dieser Podcast gefallen hat oder du noch Fragen oder Anregungen hast, melde dich gerne bei uns per Mail an: podcast@kulturstiftung-bund.de oder mail@pola.berlin.

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