Folge 6: Die Erinnerungskultur
Shownotes
In der letzten Folge nehmen euch Dominik Schottner und Host Boussa Thiam zuerst mit nach Frankfurt am Main zum Projekt METAhub, das sich auf die Spuren jüdischer Geschichte in Frankfurt begeben hat. Mirjam Wenzel vom Jüdischen Museum erzählt, wie sie gemeinsam mit dem Archäologischen Museum und dem Mousonturm jüdisches Leben an ehemaligen Originalschauplätzen wiederentdeckt und sichtbar gemacht haben – digital und künstlerisch. Zweite Station der Folge ist das SPUR.lab in Brandenburg. Hier haben sich zwei KZ-Gedenkstätten, das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, die Filmuni Babelsberg und Künstler:innen die Frage gestellt: Wie können wir Geschichte im digitalen Raum erzählen und zugleich kritische Distanz wahren? Ihr erfahrt, was den Macher:innen bei der Entwicklung der digitalen Anwendungen wichtig war und wo das Digitale bei der Erinnerungsarbeit an seine Grenzen kommt.
Zu hören sind u. a. Mirjam Wenzel (Direktorin des Jüdischen Museums, Frankfurt am Main) Bettina Loppe (Projektleitung SPUR.lab), Swantje Bahnsen (Projektkoordinatorin SPUR.lab), Katja Praschke (Künstlerin und Artist in Residence bei SPUR.lab), Tobias Ebbrecht-Hartmann (Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem)
Zu Beginn hört ihr einen Ausschnitt aus dem Song "Graphic Love" von dem Künstler Elischa Kaminer. Elischa auf Instagram: https://www.instagram.com/whothefismoses
Wenn ihr Fragen und Gedanken zur Folge oder generell zum Thema habt, dann schreibt uns gern: podcast@kulturstiftung-bund.de
Infos zum Podcast: www.kulturstiftung-des-bundes.de/podcast-gamechanger
Zum Projekt METAhub: https://metahubfrankfurt.de (Jüdisches Museum Frankfurt, Archäologisches Museum Frankfurt und Künstler:innenhaus Mousonturm Frankfurt)
Zum Projekt SPUR.lab: https://www.spurlab.de (Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Potsdam, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen und Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF)
Zum Fonds Digital: www.kulturstiftung-bund.de/kulturdigital
Erinnerungsarbeit, Stadtgeschichte, Jüdische Geschichte, Augmented Reality, Virtual Reality, Sound, Performance, Gedenkstätten, Geschichte, Storytelling, Immersion, digitale Ethik
Transkript anzeigen
Podcast: Gamechanger – Wie digitaler Wandel die Kultur verändert
Folge 6: Die Erinnerungskultur – Ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes, gemeinsam entwickelt mit Pola.Berlin.
Host: Boussa Thiam (BT)
Reporter dieser Folge: Dominik Schottner (DS) und Yannic Hannebohn
Dominik Schottner (DS): Boussa! Hallo!
Boussa Thiam (BT): Hallo.
DS: So, also pass auf, ich hab dir was mitgebracht.
BT: Okay.
DS: Und zwar Musik. Hör mal. *Song “Graphic Love” fängt an zu spielen*
BT: Schön.
DS: So, findest du schön?
BT: Ja, klingt gut. Wer ist das?
DS: Ich finde es auch schön. Elisha Kaminer heißt der Künstler und “Graphic Love” heißt der Song.
BT: Und wo hast du den Song her?
DS: Den habe ich während der Recherche zu dieser Folge entdeckt und zwar in der Dokumentation von einem der Projekte, über die wir gleich sprechen werden. Und ich dachte, ich bring dir mal ein kleines Präsent mit, sozusagen für den Anfang.
BT: Cool, Dankeschön.
DS: Ich würde noch ein paar Sachen sagen zu diesem Elisha Kaminer. Der wurde in Frankfurt geboren, arbeitet aber nicht nur als Musiker, sondern eben auch als Theatermacher, als Performance Künstler, ist international mit seiner Kunst unterwegs. Er kommt aber immer wieder gerne nach Frankfurt zurück, z.B. um beim Projekt „METAhub“, über das wir ja gleich sprechen werden, ein Konzert zu spielen. Und für dieses Projekt ist er auf Spurensuche gegangen nach jüdischer Kultur in seiner Heimatstadt Frankfurt.
Mirjam Wenzel (MW): Frankfurt ist eine Stadt, in der vor der nationalsozialistischen Machtübernahme mehr als 5% der Bevölkerung jüdisch war, die ganz maßgeblich vor allen Dingen im 19. Jahrhundert von der jüdischen Bevölkerung geprägt wurde, die auch heute wieder eine selbstbewusste jüdische Gemeinde hat. Und es geht immer darum, nochmal die Bedeutung der jüdischen Kultur in dieser Stadt ins Bewusstsein zu rufen, sonst würden wir der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im Nachhinein einen Sieg verschaffen.
BT: Okay, interessant. Und wer ist das?
DS: Das ist Mirjam Wenzel, die ist Direktorin des jüdischen Museums in Frankfurt. Mit ihr haben wir für diese sechste Folge von „Gamechanger“ zum einen gesprochen über die Vergangenheit der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, aber vor allem auch darüber, wie sicht- und erlebbar diese jüdische Vergangenheit in der Gegenwart überhaupt noch ist in Frankfurt.
BT: Und damit herzlich willkommen zu „Gamechanger“, ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes. Die hat mit ihrem Fonds Digital öffentliche Kultureinrichtungen vier Jahre lang dabei unterstützt, wegweisende digitale Projekte umzusetzen, sich zu öffnen und neue Wege der Zusammenarbeit zu finden. Das heißt, wir besuchen einige der MacherInnen und hören, was sie zum digitalen Wandel in Museen, Theatern und Gedenkstätten zu erzählen haben. Und in dieser Folge fragen wir uns und die ExpertInnen: Welche Bedeutung und Folgen hat der digitale Wandel in der Erinnerungskultur?
DS: Und das heißt, wir schauen uns an, wie Museen und Gedenkstätten digitale Tools und Formate für die Erinnerungsarbeit einsetzen und wo das Digitale hier vielleicht auch mal an seine Grenzen kommt. Dafür sind wir im ersten Teil in besagtem Frankfurt am Main beim Projekt „METAhub“ und im zweiten Teil dieser Folge liegt der Fokus dann auf dem „SPUR.lab“. Das ist ein Projekt in Brandenburg, das digitale Anwendungen für Gedenkstätten entwickelt hat und auch erforscht, wie man historische Ereignisse sensibel im digitalen erzählen und vermitteln kann.
BT: Und recherchiert haben die Folge Yannic Hannebohn…
DS: …und ich, Dominik Schottner. Hallo.
BT: Und mein Name ist Boussa Thiam, euer Host. Schön, dass ihr dabei seid.
Sprecherstimme: „Gamechanger - Wie digitaler Wandel die Kultur verändert“. Ein Podcast der Kulturstiftung des Bundes. Folge 6. Die Erinnerungskultur.
MW: Erinnerung ist eben eine Praxis. Das ist eine Praxis, dass ich mich jetzt hier heute in Beziehung setze zu etwas, was war, zu einer Person, die gelebt hat, die ermordet wurde oder die gestorben ist, zu den Dingen, die sie besessen hat oder die vor Ort waren. So etwas, was war.
BT: Und das war wieder Mirjam Wenzel.
DS: Genau, die Direktorin des jüdischen Museums in Frankfurt. Zusammen mit den „METAhub“-Partnern hat sich dieses Museum gefragt, wie kann man Erinnerungsarbeit heute gestalten und welche Formate bieten sich dafür an?
MW: Und dieses sich in Beziehung setzen braucht immer neue Formen, braucht zwangsläufig eine Erneuerung, weil der Ort aus, von dem ich es mache, sich verändert.
BT: Ja klar, ich meine, wie jede urbane Metropole hat sich natürlich auch Frankfurt verändert, oder?
DS: Auf jeden Fall. Und vor allem auch das jüdische Leben in Frankfurt. Das war vor der Zeit des Nationalsozialismus nämlich mal sehr lebendig und sehr vielfältig. Da ist heute aber nur noch sehr wenig davon zu sehen.
MW: Wir haben grundsätzlich erstmal Sammlungsbestände in digitaler Form auf einer Plattform zugänglich gemacht. Das haben das archäologische Museum und wir in Kooperation mit dem historischen Museum getan, dass man quasi, wenn man an diesen Orten ist, in Form von verschiedenen Storytelling Möglichkeiten noch mal konkret vor Ort sehen kann auf der Plattform, was da einst war und auch was davon geblieben ist in den Sammlungsbeständen. Und über den KünstlerInnenhaus Mousonturm haben wir das dann verbunden mit drei Festivals, wo das dann konkret erfahrbar wurde im Stadtraum.
DS: Boussa, vielleicht erinnerst du dich noch an “Diversify the code“, über das wir in Folge 3 gesprochen haben. Dieses Projekt „METAhub“ ist ganz ähnlich aufgestellt wie “Diversify the Code“. Also es gibt da einen eher technischen Teil mit einer digitalen Plattform, die dann auch für andere Projekte in der Zukunft zugänglich ist. Und es gibt den künstlerischen Projektteil, der in dem Fall jetzt in die Stadt hineinwirkt, die ja so lange vom jüdischen Leben geprägt war, sich aber bis heute dessen gar nicht mehr wirklich bewusst zu sein scheint.
BT: Und daran soll sie mit digitalen Tools erinnert werden.
DS: Genau. Die Stadt soll daran erinnert werden, aber eben nicht nur mit digitalen Tools, sondern auch mit künstlerischen und performativen Beiträgen. „Mapping Memories“ unter dem Namen haben drei Festivals stattgefunden, bei denen das Publikum Kunst, Konzerte, Theater und digitale Angebote direkt da erleben konnte, wo dieses jüdische Leben eben einmal war.
MW: Bei dem ersten Festival haben wir uns mit der Geschichte eines Ortes beschäftigt, das ist der Börneplatz in Frankfurt. Dort stand die Börneplatz-Synagoge. Die ist ganz wichtig für das, was man jüdische Renaissance nennt, also Wiederentdecken der jüdischen Tradition zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Synagoge hat 1938 gebrannt. Das sind auch ikonische Bilder für das Novemberpogrom. Und heute ist von ihr nichts mehr als nur ein Asphaltgrundriss zu sehen. Nebenan befindet sich ein Gebäude, das heute im Besitz der Stadt Frankfurt ist, mit der städtischen Kantine, wo also alle Angestellten der Stadt Frankfurt essen, quasi an dem Ort, wo einst die Synagoge stand. Und es ging uns auch darum, noch mal wieder irgendwie da eine Irritation zu erzeugen, ein Bewusstsein zu erzeugen von diesem Ort. Und das haben wir getan, indem wir eben vor Ort eine digitale Soundperformance aufgeführt haben, vor Ort diskutiert haben, auf diesem Asphaltgrundriss der Synagoge nochmal ein Modell der Synagoge gebracht, aber vor allem, indem wir erstmals, und das hat gar nichts mit Digitalem zu tun, erstmals den zerstörten Toraschrein der Börneplatz-Synagoge in Kisten an dem Ort gezeigt haben, an dem er einst gefunden wurde.
BT: Ja. Wow, das ist sehr bewegend. Das heißt, sie haben die letzten erhaltenen Fragmente des zerstörten Toraschreins am Börneplatz gezeigt, also dem Ort, wo früher die Synagoge stand.
DS: Und zwar exakt an dem Ort. Da war eine Ausstellung während des ersten Festivals, das an diese ehemalige Synagoge erinnert hat. Bevor die Bruchstücke des Toraschreins dort aber gezeigt werden konnten, mussten sie aber im Archiv des archäologischen Museums erstmal gesichtet und ausgepackt werden. Und das hat das Projekt “Unboxing Past” geleistet, nach einer Idee der Künstlerin Helgard Haug vom Rimini Protokoll. Kennt man vielleicht. Helgard hat die Öffnung der Archivkartons also künstlerisch begleitet.
BT: Okay, aber noch, Dominik, sind wir ja analog unterwegs.
DS: In großen Anführungszeichen. Du sagst es. Zu Beginn ging es eben erstmal darum, diese Fundstücke, die ja mehr als dreißig Jahre unangetastet im Depot des archäologischen Museums lagen, zu sichten. Und das ist halt nicht so, ich sag mal, das ist nicht so publikumswirksam. Da ist nicht so viel Action. Also es passiert natürlich schon sehr viel, aber. Ja.
BT: Ja. Was heißt das? Konkret.
DS: Das heißt konkret, dass drei Kameras ein Jahr lang den Archäologen Dr. Thorsten Sonnemann dabei gefilmt haben, wie er Archivkartons auspackt und inventarisiert. Sieht dann ein bisschen so aus wie Überwachungskameras. Und da sieht man dann eben einen sehr großen weißen Raum mit zwei großen weißen Tischen, vielen Regalen, einer großen Fensterfront und eben Thorsten Sonnemann, wie er ein Paket nach dem anderen auspackt, sich anschaut und sich an den Computer setzt und das Ganze inventarisiert.
Stimme von Dr. Thorsten Sonnemann (TS): Kann man so bestätigen, ist noch relativ wenig drin in der Kiste. Vielleicht wird da auch wieder was rausgenommen. Und hier haben wir nur noch die Nr. 66.
BT: Also ähnlich wie bei Social Media, wenn Menschen sich zeigen, wie sie Pakete auspacken, die sie gerade bekommen haben. Kennt man ja auch als „unboxing“.
TS: Die nächste Kiste mit der Fundzettel-Nummer 04673. Börnerplatz-Synagoge, bekannter Text, Zwischen Mauer 42 und 43, oberer Aushub bis 1,5 vor Apsis.
DS: Auf diese Art und Weise hat Thorsten Sonnemann 105 Archivkartons ausgepackt, hat die Fundstücke begutachtet, sie vermessen, und inventarisiert.
BT: Bemerkenswert und stimmt mich auch nachdenklich. Was hat man denn dabei alles gefunden und entdeckt?
DS: Also den Toraschrein, das hat man schon, davon sind Fragmente da. Es sind aber auch Fragmente eines Ofens da, es sind Fliesen da, es sind Wandteile da, es ist Glas da, also man kann sagen, Baumaterialien vor allem. Und dass die überhaupt noch da sind, grenzt an ein Wunder. Denn die Nazis, die hatten es bei den Pogromen im November 1938 und auch beim darauffolgenden Abriss eigentlich darauf angelegt, die Synagoge wirklich vollständig zu zerstören. Das heißt, es sollte an diesem Ort nichts, also wirklich gar nichts mehr auf das jüdische Leben hindeuten.
BT: Aber ich spüre ein kleines hoffnungsvolles „Aber“.
DS: Ja, aber das ist den Nazis zum Glück nicht vollständig gelungen. Bei Neu- und Umbauten am Börneplatz, wir haben übrigens für sehr viel Diskussionen gesorgt in Frankfurt, bei diesen Neu- und Umbauten wurden die verbliebenen Teile des Fundaments gesichert und jetzt eben erstmals inventarisiert und vor allem auch diskutiert.
Daniel Cortez (DC): Perfekt. So, jetzt können wir richtig anfangen. Ich grüße sie. Hallo, mein Name ist Daniel. Ich werde sie heute bei dem Austausch im Hintergrund unterstützen.
BT: Okay, Dominik, wo sind wir jetzt gelandet?
DS: Wir sind wieder bei „Unboxing Past“. Jetzt aber Teil 2, wo die gefilmte Archivarbeit besprochen wird.
DC: Ihr Austausch ist eines von insgesamt 105 Gesprächen, die wir führen werden zu den Archivkartons, die es zum Projekt gegeben haben.
DS: Also von dem Format bin ich inzwischen richtig begeistert.
BT: Ach cool. Und warum?
DS: Du musst dir vorstellen, da wurden immer so zwei bis drei Leute digital zusammengeschaltet, die sich vorher noch gar nicht kannten. Und zusätzlich noch ein Moderator, in dem Fall Daniel Cortez vom Fachbereich Gestaltung der Hochschule Mainz, die den digitalen Begegnungs- und Archivraum gestaltet hat. Und diese drei bis vier Menschen verbringen dann knapp 2 Stunden damit, dem Archäologen Thorsten Sonnemann bei seiner Arbeit zuzuschauen. Und sie müssen damit verbundene Aufgaben lösen. Und am Ende sprechen sie darüber, was diese Bruch- und Fundstücke für ihr eigenes Erinnern und Gedenken bedeuten.
Max Czollek (MC): Ich habe den Auftrag sehr genau genommen. Und habe angefangen, wirklich angefangen zu zählen. Aber dann habe ich gemerkt, dass es doch zu viele Kisten sind.
BT: Dominik, was sind das für Menschen, die da mitgemacht haben?
DS: Zum Teil sind es Historikerinnen und Historiker, zum Teil einfach auch nur interessierte Laien. In einem Gespräch ist aber z.B. auch der Autor Max Czollek dabei, der vor allem durch „Desintegriert euch!“ bekannt geworden ist, eine Streitschrift aus dem Jahr 2018, die er geschrieben hat. Und zuletzt ist sein Buch „Versöhnungstheater“ ein Bestseller geworden. Ein Werk über, sehr passend, deutsche Erinnerungskultur.
BT: Das heißt, egal ob Bestsellerautor oder nicht, die kommen dann tatsächlich miteinander ins Gespräch?
DS: Ja, meistens schon, würde ich sagen. 185 Menschen haben da insgesamt mitgemacht und natürlich so Videokonferenzen, zumal wenn man sie als Mitschnitt anschaut, wirken auf Unbeteiligte ja oft ein bisschen komisch, weil da Menschen zusammenkommen, die sich in dem Fall nicht kennen, die sich erst aneinander gewöhnen müssen. Aber die Moderation und diese Kennenlernformate, sage ich mal, die haben da doch recht schnell so eine vertraute Ebene erzeugt. Hat natürlich auch damit zu tun, dass sich die Leute freiwillig gemeldet haben für das Projekt und auch einfach wirklich Lust darauf hatten. Aber es gab eben auch manchmal so Momente, wo ich so ein bisschen zusammengezuckt bin, so wie gerade eben, als wir gehört haben, wie sie gelacht haben.
BT: Ja, das hat mich auch total irritiert, weil es ja um etwas ja sehr Existenzielles geht. Also die Folgen der beinahe kompletten Auslöschung jüdischen Lebens in Frankfurt.
DS: Exakt das. Deswegen waren die digitalen Treffen ja auch nur für drei Leute konzipiert, damit man sich eben in geschützter Umgebung unterhalten kann und sich dann trotz dieser ernsten Materie traut, auch Gefühle auszudrücken. So wie Max Czollek, der sich mit zwei Frauen zusammen die Öffnung des Archivkartons 97 angesehen hat und ihnen und jetzt eben auch uns erzählt, was er dabei gefühlt und gedacht hat.
MC: Indem ich intensiv Blickkontakt mit diesem Gegenstand aufnehme. Ich fand, das war das Schönste, wie er sich überbeugt und erstmal sehr ruhig und genau sich diese Steine anschaut und sozusagen, man fragt sich so, was sieht er da gerade oder welche, da findet irgendwas statt und ich weiß nicht genau was, aber irgendwas, irgendein Austausch scheint da statt zu finden. Und das fand ich irgendwie auf eine Weise rührend, so dieses, man nimmt diese Steine und dann dachte ich auch, wie wenig sind 105 Kisten? In dieser einen Kiste sind fünf Objekte oder so, oder sieben, ich weiß nicht genau. Eins, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Objekte. Und die sind alle nicht besonders groß. Und das war ja mal ein riesiges Gebäude, wir haben ja die Fotos gesehen. Und das heißt, 105 heißt, man hat schon sehr viel dafür getan, dass davon nichts mehr übrigbleibt. Und jetzt hat man diese „läppischen“ Marmorstücke, von denen man ja wirklich nicht mehr, denen man ja nicht mehr gut anzieht, was sie mal gewesen sind. Und ich fand irgendwie seine Art, sich das einfach nur anzugucken, wie in so einer Andacht eigentlich zu fahren, fand ich irgendwie schön. Und dazu würde ich das auch machen vielleicht. Ich würde mir die Sachen angucken einfach und probieren, über den Blick irgendwas zu sehen.
DC: Wir haben den 18.08. und ich mache jetzt hier weiter mit der Inventarisation von den Ofenkacheln, wo ich gestern aufgehört habe. Ja, der Vorgang ist ja bekannt, den muss ich ja nicht mehr beschreiben, hoffe ich, weil alle aufgepasst haben. Gut, dann mache ich einfach da weiter, wo ich gestern aufgehört habe.
BT: Okay. Kann man sich diese Fundstücke denn jetzt noch irgendwo ansehen?
DS: Das kann man im Netz natürlich auf metahubfrankfurt.de. Und weil „METAhub“ ja vor allem von den Orten her gedacht wurde, gab es neben der ehemaligen Börneplatz-Synagoge noch weitere Originalschauplätze jüdischen Lebens zu entdecken.
MW: Und da kam uns eine glückliche Entdeckung zugute, dass wir unter einem japanischen Supermarkt einen Gewölbekeller ausfindig gemacht haben aus der Zeit der Judengasse.
BT: Ja, also vielleicht noch mal kurz zur Einordnung der Stadtgeschichte. Seit dem 12. Jahrhundert haben die Frankfurter Juden im Zentrum der Stadt gewohnt. Allerdings mussten sie 1462 in eine neu angelegte Gasse an den Stadtrand umziehen. Und so war sie geboren, die Judengasse, das erste jüdische Ghetto in Europa.
DS: Ja, und da gab es eben diesen uralten Keller, mehr als 200 Jahre alt, der mal ein viel, viel größeres, sehr repräsentatives Haus, den sogenannten „Goldenen Apfel“, getragen hat. So groß ist dieser Keller. Und der wurde beim Festival 2023 eben erstmals öffentlich zugänglich. Und wer mag, kann ihn bis 2026 noch anschauen, bis dahin ist er nämlich noch offen.
MW: Das heißt, wir hatten zwei Eckpunkte. Das eine war unser Museum „Judengasse“, in dem wir noch mal archäologische Funde gezeigt haben aus der Judengasse in so einer Pop-up-Präsentation. Das andere war der Keller, in dem wir…und da haben wir wieder mit einer Architektin und Künstlerin kooperiert, Meitar Tewel, die ein Projekt an der Uni Delft (Niederlande) initiiert hatte, wo sie sich beschäftigt hatte mit der Frage: Wo ist eigentlich die Architektur des vormaligen jüdischen Ghettos, nämlich der Judengasse, verblieben? Oder: Wie verhält die sich zum heutigen Stadtraum?
DS: Sehr drastisch gesprochen. Von der Judengasse ist heute so gut wie nichts mehr übrig. 330 m war sie mal lang, ein paar Meter breit. Dreißigtausend Menschen haben da gut gewohnt, aber heute ist davon eben gar nichts mehr zu sehen. Stattdessen graue Geschäfte, Büros und Straßen aus den vergangenen Jahrzehnten.
BT: Ja, leider typisches Nachkriegs-Westdeutschland.
DS: Aber sowas von. Bei „Mapping Memories“ hat man jetzt aber versucht, die Judengasse zumindest temporär wieder erlebbar zu machen.
BT: Interessant. Und wie genau haben sie das versucht?
DS: Ja, wiederaufbauen geht natürlich nicht, da steht ja jetzt schon was. Aber man kann den früheren Verlauf z.B. mit Tapes auf den Straßen sichtbar machen, indem man die Tapes auf die Straße klebt und so zeigt, hier verlief mal diese Gasse. Man kann sie aber auch hörbar machen.
Soundbeispiel: Straßen gibt es in allen Städten. Trottoirs, Häuserreihen, leicht gewölbte Asphaltflächen, Spotten der Zerlegung.
DS: Das ist die Sound- und Virtual-Reality-Installation „Straße ohne Erinnerung“ des Performance-Kollektivs “LIGNA”.
Soundbeispiel: Ein offener, halbgepackter Koffer…Ungefähr gegen neun war es umringt unter … Ofen. 1819. Hier werden Fenster eingeworfen….
BT: Das heißt, hier kommen Sound und Virtual-Reality zusammen.
DS: Genau, du kannst dir das anhören, du kannst dir Teile davon im Netz aber eben auch noch anschauen.
Soundbeispiel: Die kleine Straße ruhte still, als warte sie auf die Dämmerung.
DS: Und wenn man sich das anschaut, und ich habe das natürlich mehrmals gemacht, für mich sieht das Ganze aus wie bei so einem Mittelalter-Game, wo jetzt aber plötzlich die Gegenwart so “reinglitcht”. Und dann steht da eben ein weißer Transporter im Bild, um klar zu machen - zu hier war früher die Judengasse, aber heute wird hier eben „geshoppt“, wird angeliefert, was auch ganz klar ist, weil um die Ecke ist die berühmte Frankfurter Einkaufsstraße „Zeil“.
BT: Ja, berührend. Also dieser virtuelle Blick in die Vergangenheit. Fassen wir noch mal zusammen. Frankfurt am Main war jahrhundertelang ein Zentrum des jüdischen Lebens in Europa. Das wurde von den Nazis auf brutale Art und Weise zerstört, aber durch „METAhub“ sind die Zeugnisse jüdischen Lebens zumindest teilweise wieder sichtbarer geworden.
DS: Genau. Und das Gute ist, diese digitalen Tools sind ausdrücklich auch für andere Institutionen in Frankfurt offen, wie eben die Plattform metahubfrankfurt.de oder auch wie das gemeinsame Redaktionssystem „METAhub“ Framework und das Archivkistenprojekt, über das wir vorhin gesprochen haben. Das kann man sich auch weiterhin angucken, und zwar über die Website unboxing-past.de. So, und jetzt noch eins - der wiederentdeckte Keller, den hat die Stadt Frankfurt angemietet, um ihn für die Öffentlichkeit als Erinnerungsort zu erhalten.
BT: Und so gelingt dann tatsächlich auch eine wirkliche Verschränkung von digitaler und analoger Welt.
DS: Und darf man auch nicht vergessen an der Stelle, da haben drei Institutionen zusammengearbeitet, die jeweils ihre Stärken eingebracht haben und es so geschafft haben, in die Frankfurter Stadtgesellschaft wirklich hineinzuwirken.
BT: Also Dominik, Folge 6 von „Gamechanger“ ist ja unsere vorerst letzte und eine, die ja quasi an die DNA der Bundesrepublik rangeht. Denn wir sprechen über Erinnerungskultur und wie digitale Tools hier neue Möglichkeiten eröffnen, beispielsweise für Museen und Gedenkstätten. Und es geht aber darüber hinaus auch um die Frage: “Wo erreichen sie Grenzen?“, weil nicht alles, was technisch machbar ist, auch erinnerungskulturell sinnvoll ist. Wieso eigentlich nicht?
DS: Ja, da würde ich an der Stelle gerne noch mal kurz Mirjam Wenzel vom jüdischen Museum in Frankfurt dazu holen, die sehr gut auf den Punkt bringt, worum es eigentlich immer geht.
MW: Weil Erinnerungsarbeit in Deutschland immer bedeutet, gegen den nationalsozialistischen eliminatorischen Antisemitismus anzuarbeiten.
DS: So, und jetzt haben wir die Situation bei dieser ohnehin ja schon sehr anspruchsvollen Arbeit mischen jetzt auch noch Augmented Reality Apps mit, Mixed Reality Apps, Histo Games und natürlich Social Media. Alle mit dabei.
BT: Also mehr oder weniger neue digitale Räume und andere Formen des Erzählens in der Erinnerungsarbeit. Das ist ja an sich erstmal ganz gut, weil man damit doch vor allem auch Angebote für Jüngere schaffen kann, oder nicht?
DS: Doch, doch, gut ist es schon. Da sind definitiv tolle neue Möglichkeiten. Aber wir haben ja vorhin schon mal kurz angerissen, die Frage ist halt, wie kann man Menschen auf der individuellen Ebene für Erinnerungs- und Gedenkarbeit interessieren und gleichzeitig einen korrekten ethischen Umgang mit Geschichte finden? Das ist gar nicht so einfach.
MW: Und das heißt also, diese Ich-Perspektive setzt sich durch und irgendwie auch eine größere Selbstverständlichkeit Bilder zu produzieren und über die Bruchstellen hinwegzuspringen. Und das ist eine Entwicklung, die funktioniert für Jugendliche gut, aber ich finde sie doch problematisch, weil diese Bruchstellen sind Teil von Erinnerung. Und es ist wichtig zu zeigen, was wir nicht wissen, weil da auch eine Aufgabe ist und weil es auch Teil der Zerstörung war, dass wir Dinge nicht wissen. Und ich finde es auch wichtig, so sehr ich Empathie stützen möchte und fördern möchte, ich finde, es gibt auch Momente, insbesondere wenn es um die Ermordeten geht, wo die Ich-Perspektive eigentlich nicht angemessen ist.
DS: Man könnte auch sagen, Erinnerungsarbeit sollte auch im Jahr 2024 den Beutelsbacher Konsens ernst nehmen. Beutelsbacher Konsens, das ist so eine Empfehlung für historisch politische Bildung. Auf den haben sich Fachleute 1976 im schwäbischen Beutelsbach geeinigt. Kurz gesagt steht da drin: Erinnerungsarbeit soll nicht mit drastischen, effekthascherischen Darstellungen überwältigen, sondern sie soll viele Perspektiven anbieten, damit man sich am Ende eben selbst ein Bild machen kann. Dazu gehört auch, dass man nicht nur die Täter, sondern auch die Opferperspektive zeigt.
BT: Das ist nachvollziehbar, aber das wurde, was natürlich auch richtig ist und war, über Jahrzehnte hinweg doch schon gemacht, oder?
DS: Doch doch, das wurde auf jeden Fall gemacht. Wenn man an die Erinnerung von Überlebenden und Opfern des Naziterrors denkt, gibt es diese Perspektiven natürlich. Aber in Gedenkstätten wie dem KZ Sachsenhausen bei Berlin z.B. hat man jetzt zunehmend häufiger die Situation, da soll eine Augmented Reality oder eine Virtual Reality Anwendung entwickelt werden. Und dafür braucht man jetzt aber Fotos von früher. Und die haben in der Regel die Nazis selbst oder dann später, nach der Befreiung, die Soldaten der Alliierten gemacht. Im Fondsdigitalprojekt „SPUR.lab“ haben sich deshalb drei Brandenburger Institutionen zusammengetan und die Frage gestellt: „Wie können wir Geschichte im digitalen Raum erzählen und zugleich kritische Distanz wahren?“.
BT: Und wer sind die drei Institutionen?
DS: Also Nr. 1 aus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Nr. 2 die Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück und Nr. 3 die Filmuniversität Babelsberg.
Bettina Loppe (BL): Ich fand es und finde es auch nach wie vor mutig von der Kulturstiftung, dass sie damals uns auch die Förderung gegeben hat, auch mit der Möglichkeit, ja, untersuch doch mal diese Frage, arbeitet da doch mal prototypisch dran. Aber es hätte ja auch komplett scheitern können.
DS: Das ist Bettina Loppe. Sie war Projektleiterin des „SPUR.lab“ bei der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte, wozu das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte gehört.
BT: Und ich glaube, wir können an dieser Stelle auch spoilern, denn komplett gescheitert ist das „SPUR.lab“ nicht?
DS: Nein, überhaupt nicht. Aber das kennen wir ja auch schon von anderen Fonds Digital Projekten, über die wir hier im Podcast gesprochen haben. Die ProjektpartnerInnen mussten sich erstmal, es war zum Teil ja noch Corona, sich virtuell kennenlernen und dann direkt klären, was ist uns wichtig und wo sind aber auch unsere Grenzen.
BL: Wir haben sehr schnell gemerkt, wir benutzen die gleichen Worte, aber wir meinen nicht wirklich das Gleiche. Dann haben wir irgendwann mal angefangen, so „buzzwords“ (Schlagworte) zu definieren und uns mal direkt mit denen auseinanderzusetzen. Das war damals wirklich Immersion und Storytelling waren dann ganz weit oben. Und auch nachdem wir uns der Virtual Reality geöffnet hatten, erst wäre die Idee, nur Augmented Reality zu nutzen, war aber auch eine deutliche rote Linie. Es gibt keine Eins-zu-eins-Zeitreise. Man wird mit der Brille nicht in ein KZ reisen können und man wird auch nicht die eine oder andere Perspektive einnehmen können. Und deswegen haben wir ja auch Künstlerinnen und Künstler mit an Bord geholt, um uns da auch eher künstlerisch forschend heranzutasten.
DS: Zwei dieser KünstlerInnen werden wir gleich kennenlernen. Ich würde aber gerne Boussa, wenn ich darf…
BT: Ich bitte drum.
DS: …ein weiteres Ziel des „SPUR. Lab“ nennen. Das war ja ein Verbundprojekt und das ist gerade beim Thema Erinnerungsarbeit sehr wichtig, weil die, das hat uns Bettina Loppe ja eben erklärt, diese Erinnerungsarbeit funktioniert am besten wie ein Netz, verknüpft.
BL: Also dass praktisch nicht nur eine Anwendung entsteht für eine Gedenkstätte oder eine Anwendung hier für ein Ausstellungshaus in den Geschichtsausstellungen, sondern dass es immer ausstrahlt auf beides. Also z.B. hier im Haus ist ein Buch, ein Fluchtbericht aus dem ersten KZ Oranienburg und dann gibt es die Gedenkstätte Sachsenhausen, die in Oranienburg ist und wir wollten uns auch in der Geschichtserzählung verbinden.
BT: Ja, sehr schön. Und was ist daraus konkret entstanden? Also an Anwendungen?
DS: Z. B. die Virtual Reality Anwendung BLACKBOX. Mit einer VR Brille kann man damit einen Zeitzeugenbericht, der sonst in einer Vitrine liegt, quasi lesen und so anhand von Text, anhand von Fotos und anhand von kleinen Animationen das KZ Oranienburg mit dieser VR Brille eben erkunden.
BT: Aber ich dachte, das soll genau nicht passieren.
DS: Ja, das ist auch nicht passiert, erklärt uns Katja Pratschke, eine der beiden Künstlerinnen, die BLACKBOX gestaltet hat.
Katja Pratschke (KP): Die Stärke des virtual Reality Prototyps “BLACKBOX” liegt darin, dass wir mit einem Bericht eines ehemaligen Inhaftierten den Ort betreten und Textstellen, Textfragmente in der VR Umgebung verortet sind.
Tonaufnahme von Gerhart Seger: In dieser Schrift werde ich über Verbrechen gegen das Leben und gegen die Gesundheit wehrloser Gefangener im Konzentrationslager Oranienburg berichten.
DS: Der Mann, um den es hier geht, ist Gerhart Seger. Von 1930 bis März 1933 war er Reichstagsabgeordneter der SPD. Und er war einer der ersten, den die Nazis nach ihrer Machtübernahme inhaftiert haben in besagtem KZ Oranienburg. Nach einem halben Jahr dort aber konnte er fliehen. Was er in diesem halben Jahr erlebt hat im KZ, hat er kurz darauf in einem viel beachteten Bericht veröffentlicht. Ein grausamer Mittelpunkt des Berichts und damit am Ende eben auch der Applikation ist ein Vernehmungsraum, das sogenannte Zimmer 16, die namensgebende BLACKBOX.
Gusztáv Hámos: Im Zentrum dieser Arbeit steht eine sogenannte „Blackbox“. Das ist ein Ort, wo die Insassen gefoltert wurden. Und weil wir denken, dass diese Folterung nicht darzustellen ist, deshalb haben wir für diesen Ort eine BLACKBOX hergestellt, den wir nicht betreten, aber um den wir herumgehen.
DS: Das war eben übrigens Gusztáv Hámos, der BLACKBOX zusammen mit Katja Pratschke konzipiert hat. Aber ich sehe, Boussa, du hast Fragen.
BT: Ja, denn hatte die Projektleiterin Bettina Loppe nicht vorhin gesagt, dass man keinen virtuellen …
DS: … Eins-zu-eins-Besuch im KZ programmieren würde?
BT: Genau.
DS: Ja, stimmt. Hat mich auch ein bisschen irritiert am Anfang. Aber damit gemeint ist, dass man eben nicht in das grausame Leben im KZ voll eintauchen, es nicht nacherleben können soll.
BT: Ja, weil es ethisch, moralisch nicht vertretbar wäre.
DS: Ganz genau, weil damit vermutlich wenig erreicht würde, außer einer massiven Verstörung. Und deswegen gibt es hier diesen einen grausamen Ort, der aber eben nicht betreten wird, sondern in der VR Anwendung nur von außen betrachtet wird. Deswegen ist das KZ in BLACKBOX auch nur sehr abstrakt nachgebildet. Da sieht man türkise Linien, die die Räume begrenzen. Und deswegen sieht man z.B. auch besagten Gerhart Seger nicht. Aber sehr wohl hört man eben Musik und Sounds. Und das ist etwas, wofür sich die KünstlerInnen sehr eingesetzt haben.
*aufprallende Wassertropfen sind zu hören*
BT: Dominik.
DS: Ja. Machen die Tropfen irgendwas mit dir, Boussa?
BT: Weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Worauf willst du hinaus?
DS: Ich will hinaus auf eine der Kernfragen im „SPUR.lab“. Wie viel Immersion ist erlaubt? Also wie sehr sollen und wollen NutzerInnen Teil einer virtuellen Umgebung sein und sie auch fühlen? Und das können eben auch so vermeintlich kleine Audioreize wie Wassertropfen sein.
BT: Das finde ich, ist eine sehr schöne und vor allem auch feinfühlige Idee.
DS: Ja. Interessanterweise ist es aber wohl überhaupt nicht so, dass vor allem junge NutzerInnen sich auf diese Anwendungen stürzen. Das hat uns Svantje Bahnsen erzählt, Projektkoordinatorin des „SPUR.lab“. Sie haben wir beim Abschlusssymposium im November 2023 getroffen, wo sie auch das von ihr betreute Projekt „Zeitschichten“ vorgestellt hat. Das ist eine Augmented Reality App, mit der man im KZ Sachsenhausen das Gelände, das heute ja weitgehend leer ist, begreifen kann.
Svantje Bahnsen: Also ich glaube, eine Fehlannahme war, dass vor allem junge Nutzende total frei von Berührungsängsten sind, was Technik angeht. Das haben wir ganz anders erlebt. Also dass viele, viele noch nie eine VR Brille auf hatten, da auch Skrupel haben, dass wir auch den Fall hatten, dass junge Nutzende z.B. gesagt haben, nee danke, ich möchte die Brille nicht aufsetzen, also weil mir auch das Thema zu schwer ist oder so.
BT: Ja, nachvollziehbar, denn nur weil man mit dem Handy aufwächst, heißt das ja noch lange nicht, dass man deswegen alles digitale vorbehaltlos nutzt. Das muss ich sagen, macht mir ehrlicherweise auch eher Hoffnung.
DS: Dann will ich diese Hoffnung noch ein bisschen mehr nähren. Denn das „SPUR.lab“ hat zwei Studien mit Menschen verschiedener Generationen durchgeführt, wie das Nutzungsverhalten bei denen so ist.
Tobias Ebbrecht-Hartmann (TEH): Niemand will eine komplett digitalisierte Erinnerungskultur.
DS: Das ist Tobias Ebbrecht-Hartmann, der unter anderem digitale Erinnerungskulturstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem unterrichtet. Er hat diese Studien im „SPUR.lab“ betreut.
TEH: Niemand möchte digitale Gedenkstätten, sondern die Perspektive geht eben in Richtung Hybrid, geht sozusagen in Richtung Erweiterung, geht in Richtung sozusagen Perspektivenvielfalt.
BT: Ja, sehr interessanter Befund und das stützt ja auch unser Gefühl von vorhin. Wie groß war die Studie eigentlich?
DS: Ja, das ist ein bisschen schade. Das war ein eher geringes Sample von nur 47 TeilnehmerInnen im ersten und 12 TeilnehmerInnen im zweiten Durchlauf. Trotzdem kann man da schon ein ganz klares Bild rauslesen, was digitale Angebote aus Sicht der BesucherInnen leisten sollen. Sie sind eine Ergänzung und kein Ersatz für einen Besuch vor Ort.
TEH: Allerdings ist auch sehr deutlich geworden, dass es zumindest aus der Perspektive der NutzerInnen nicht darum geht, in die Geschichte oder in die Vergangenheit hineinversetzt zu werden.
BT: Ja, man sollte Menschen eben zugestehen und natürlich auch zutrauen, dass sie wissen, was sie von Erinnerungsarbeit erwarten können und was nicht.
DS: Auf jeden Fall. Sehr wertvoller Hinweis. Und um es mit Tobias Ebbrecht-Hartmann noch zu sagen, für Menschen, die für Gedenkstätten solche Tools entwickeln: Denkt nicht, dass alle im digitalen Zuhause und super versiert sind, nur weil sie ein Smartphone bedienen können. Gerade auch die ganz jungen BesucherInnen nicht. Oder anders gesagt - legt die digitalen Hürden nicht so hoch.
TEH: Im Prinzip bedeutet digitale Geschichtsvermittlung auch Vermittlung von Digitalkompetenz. Das beides geht zusammen. Man lernt eigentlich durch diese Anwendung auch mindestens genauso viel auch über digitale Kultur, digitale Vermittlung, digitale Ästhetiken.
BT: Ja, und damit sind wir nicht nur am Ende dieser 6. Folge von „Gamechanger“, sondern insgesamt am Schluss dieses Podcasts. Das war eine ziemlich intensive und lange Reise. Dominik, was ist deine Antwort auf die Frage, wie Digitalität Kunst und Kultur verändert?
DS: Ich würde sagen, Digitalität verändert Kunst und Kultur zum absolut guten. Es ist eine riesige Bereicherung, und zwar völlig egal, ob wir über Anwendungen von künstlicher Intelligenz sprechen, ob wir über Virtual oder Augmented Reality sprechen oder auch über so vermeintlich dröge Redaktions- und Planungssoftware. Digitale Tools können die Produktion, können die Kuration, können aber auch die Rezeption von Kunst und Kultur erleichtern, an manchen Stellen vielleicht sogar erst ermöglichen. Und was sie definitiv können, ist sie erweitern in Sphären, von denen man jetzt gerade vielleicht noch gar nicht weiß, wo sie enden. Also ich finde es insgesamt toll.
BT: Ja und ergänzend vielleicht noch hat mir sehr gefallen, dass wir uns auch mit kritischen Fragen auseinandergesetzt haben. Also wer schreibt eigentlich die Programme, welche ethischen Fragen gilt es zu klären? Und wo stoßen wir heute an die Grenzen der Digitalität? Also herzlichen Dank an unsere AutorInnen für die exzellente Recherche der insgesamt sechs Folgen.
DS: Das waren Sara Zarreh Hoshyari Khah, Änne Seidel und Yannic Hannebohn.
BT: Großen Dank auch an Frank Merfort, der die Folgen produziert hat und an Feature Music, die die Musik dafür geschrieben haben.
DS: Und wir bedanken uns beim Team der Kulturstiftung des Bundes.
BT: Sowie natürlich bei allen Beteiligten der Fonds Digital Projekte, die uns so toll von ihrer Arbeit erzählt haben.
DS: Ja, und bei dir Boussa, vielen Dank fürs wunderbare Durch-die-Folgen-geleiten.
BT: Ah ja, okay, jetzt aber tschüss.
DS: Okay, tschau. Einen habe ich aber noch:
Sprecherstimme: „Gamechanger - Wie digitaler Wandel die Kultur verändert“ ist eine Produktion der Kulturstiftung des Bundes, gemeinsam entwickelt mit Pola.Berlin. Am Mikro war als Host Boussa Thiam. Recherchiert haben die Folge Yannic Hannebohn und Dominik Schottner. Die Redaktion bei der Kulturstiftung hatten Juliane Köber und Julia Mai. Das Sounddesign kam von Feature Music, Produktion und Schnitt Frank Merfort, Executive Producer Pola.Berlin, Dominik Schottner. Wenn dir dieser Podcast gefallen hat oder du noch Fragen oder Anregungen hast, melde dich gerne bei uns per Mail an podcast@kulturstiftung-bund.de oder mail@pola.berlin.
Neuer Kommentar